Bernhard Spielberg versucht es mit Humor. Dafür nutzt der Pastoraltheologe aus Freiburg Bilder mit starker Symbolkraft. Zum Beispiel das DVD-Cover von "Mr. Jones und Mr. Smith", den "men in black", die als Agenten einer geheimen Organisation außerirdischen Lebensformen auf der Spur sind. Sein ironischer Kommentar dazu, den er mit der Überschrift "Fundamentalistischer Rückzug" betitelt: "Eine kleine Eliteeinheit ist auserwählt, um gegen das Böse in der Welt zu kämpfen. Wenn sie so weitermacht wie bisher, wird es so weitergehen wie bisher."
Was bei den Zuhörern – Strategieexperten aus beiden großen Kirchen des gesamten deutschsprachigen Raumes, darunter auch Kleriker und Unternehmer – für große Erheiterung sorgt, ist vom Referenten als eine der möglichen, aber nicht wirklich ernst gemeinten strategischen Optionen gedacht, als es am Nachmittag des zweiten Kongresstages im Bensberger Kardinal-Schulte-Haus um die "Eckpunkte eines veränderten Mindsets" geht, wie Spielberg seinen Vortrag überschrieben hat. Alternativ stellt er dieser Haltung das "basiskirchliche Christentum" – "Wir verpacken das Fremde, damit es besser zu uns passt, und ziehen uns mit denen zurück, die so sind wie wir" – sowie einen "pluriformen Katholizismus" gegenüber mit der Feststellung: "Die Zukunft lässt sich nicht einfach aus der Gegenwart ableiten, sie lässt sich auch nur schwer prognostizieren, sondern ist zu gestalten."
Im weiteren Verlauf seiner Präsentation kreiert er – und auch dafür wird er mit viel Schmunzeln bedacht – die sogenannte "Erdbeer-Ekklesiologie", bei der ihm die Benennung der besonderen Eigenschaften dieser Frucht auch hier wieder dazu dient, ihre Vorteile – "ein geheimnisvoller Hohlraum in der Mitte im Gegensatz zur Pflaume mit ihrem harten Kern" – herauszustellen, um daraus, im Bild bleibend, abzuleiten: "Die Kirche befindet sich nicht in diesem Kern, sondern weit außerhalb davon." Seine These bekräftigt er mit einem Wikipedia-Eintrag zu der Definition einer Scheinfrucht: "Die einzelnen, sehr kleinen Früchte sitzen auf dem verdickten kegelförmig hochgewachsenen und über 200 verschiedene Aromastoffe beinhaltenden Blütenboden."
"Fremdlernen" am Beispiel der Deutschen Bahn
Und der Theologe setzt noch einen drauf, als er den Aspekt "Fremdlernen" ins Spiel bringt, sich dafür die Dysfunktionalität und marode Infrastruktur der Deutschen Bahn vorknöpft und mit Genuss aus einer Zitatensammlung der FAZ-Journalistin Corinna Budras schöpft, die gleich mehrere Durchsagen eines Lokführers folgendermaßen dokumentiert hat: "Es tut mir leid, dass die Deutsche Bahn Ihnen einen Zug in solch erbärmlichen Zustand bereit stellt. Nichts geht hier. Ich fahre den Zug nur unter Protest. Aber irgendwie müssen Sie ja wegkommen." Oder: "Der Lokführer ist wegen eines anderen verspäteten Zuges noch nicht eingetroffen. Wir blockieren gerade das Gleis für seinen Zug. Wir sind selbst gespannt, wie das aufgelöst wird."
Einen abschließenden Lacherfolg erzielt Spielberg mit einem letzten Original-Zitat, diesmal von Martin Burkert, dem Vorsitzenden der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft: "Die Mitarbeiter im Zug bekommen viel mehr Freiraum als früher, weil die Deutsche Bahn inzwischen verstanden hat, was sie an ihnen hat. Früher hätte es für Abweichungen von der offiziellen Vorgabe eine Abmahnung gegeben, jetzt gibt es von den Kunden Applaus."
An neuen Zukunftsszenarien basteln
Was sich wie ein großer Spaß anhört – letztlich sind es ja nur versteckte Anspielungen mit bewusst kalkuliertem Unterhaltungswert – ist in Wirklichkeit bitterer Ernst. Das wissen auch die vielen Zuhörer im Plenum, die alle zwei Jahre auf Einladung des Vereins "futur2" und seinen Mitveranstaltern, darunter die Thomas-Morus-Akademie Bensberg, zusammenkommen, um an neuen Zukunftsszenarien für die Kirche zu basteln bzw. gemeinsam zu brainstormen, wie eine Kirche von morgen aussehen könnte, die sich mehr an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, sprich sich "kundenfreundlicher" und zielgruppenorientierter aufstellt. Denn das, was Spielberg mit seinen launigen Metaphern und witzig eingestreuten Zweideutigkeiten zu erklären versucht und was sich auch durch die anderen Vorträge und Workshops wie ein roter Faden zieht, ist das Anliegen, dass Kirche neu gedacht werden und sich eben gerade in ihrem Kern etwas verändern muss, will sie dauerhaft nicht noch mehr an Relevanz verlieren.
Die inhaltliche Konzeption des Strategiekongresses, einschließlich der Entwicklung seines Designs und der Formate, wurde maßgeblich von Dr. Valentin Dessoy, Geschäftsführer von kairos. Coaching, Consulting, Training, erarbeitet. Dabei lag der Fokus auf zentralen Prämissen, die die Ausrichtung des Kongresses grundlegend geprägt haben: Die Zeit der Volkskirche ist unwiederbringlich vorbei, und es wird in Zukunft kein einheitliches Modell mehr geben, wie es die klassische Pfarrgemeinde einst verkörperte. Stattdessen erfordert die Suche nach neuen Wegen ein experimentelles Vorgehen, da das Neue nicht einfach aus dem Bisherigen abgeleitet werden kann. Vor diesem Hintergrund sind unternehmerisches Denken und Handeln gefragt, um in einem sehr begrenzten Zeitfenster zukunftsfähige Modelle für die Kirche zu entwickeln.
Für die Teilnehmenden des 8. Strategiekongresses ist unstrittig, die Kirchen – denn dabei ist die evangelische gleich mitgemeint – stehen vor der Herausforderung, sich neu erfinden zu müssen. Und dabei dürfen auch mal – vielleicht sogar vor allem – unkonventionelle Überlegungen angestellt werden. Die Hauptsache, christliches Leben bleibt zukunftsfähig. Doch dafür müssen sich alle zunächst einmal darauf verständigen: Was bedeutet Christsein heute überhaupt? Muss der christliche Glaube nicht grundsätzlich neu ausbuchstabiert werden? Was ist aktuell die Mission von Christen? Was lernen sie aus gesellschaftlichen Trends? Wie kann das Verständnis von kirchlichem Leben weiterentwickelt werden? Welche neuen Ausdrucksformen und Organisationsmodelle werden angesichts immer knapperer Ressourcen gebraucht? Wie können Veränderungsprozesse angestoßen werden und wo kann tatsächlich einmal über den berühmt berüchtigten Tellerrand hinaus auf das, was die Menschen (noch) in Kirche zusammenhält, geschaut werden? Spielberg betont ausdrücklich: "Die Kirche darf den Anspruch aufgeben, dass sie allein die Präsenz des Christentums für die Zukunft sichern muss."
Werteorientierung mit unternehmerischem Handeln verknüpfen
Allein schon der gewählte Veranstaltungsname "Die nächste Kirche" ist Programm und impliziert, dass die Organisatoren an dem bestehenden Selbstverständnis mächtig rütteln wollen, sich einen gänzlich anderen Ansatz vorstellen können und auch eine Vision haben. Nicht umsonst schieben sie in der Unterzeile hinterher, dass sie sich diese Kirche der Zukunft "vielgestaltig, fluide, emanzipatorisch, unternehmerisch" wünschen. Wozu gleich zu Beginn der Tagung die vielfach ausgezeichnete Sozialunternehmerin Rose Volz-Schmidt einen wesentlichen Diskussionsbeitrag mit der Einführung des Begriffs "Social Entrepreneurship" leistet, bei dem es darum geht, Werteorientierung und gesellschaftlichen Nutzen mit unternehmerischem Handeln zu verknüpfen und dieses "Geschäftsmodell" auch auf Kirche anzuwenden.
"Bei sozialem Unternehmertum geht es ja nicht um Gewinn, sondern darum, gesellschaftliche Probleme mit unternehmerischen Ansätzen zu lösen", argumentiert die Gründerin von "wellcome", einem bundesweit agierenden Unternehmen, das Eltern in herausfordernden Situationen entlasten will. "Sozialunternehmer denken – anders als die Kirche, bei der sich alle Aktivitäten auf einen kleinen Kern ihrer Mitglieder richten – von außen nach innen und fragen sich: Für wen wollen wir da sein? Wo besteht dringender Bedarf? Was ist das relevanteste Thema?" Schließlich sei Kirche, die sich zu einer zunehmend bürokratischen Organisation entwickle, nicht nur für die da, die ohnehin schon mit dabei seien. "Auch wenn die Modelle Gemeinde oder katholischer Verein nicht mehr tragen, geht es immer noch darum, dass die Kirche nach wie vor mit ihrer guten Botschaft bei den armen Leuten ist", so Volz-Schmidt.
Als Kirche nicht mit vorgefertigten Ideen auftauchen
Ein anderes Beispiel für Social Entrepreneurship ist der "Grünhof" in Freiburg, den Hedra Youkhana vorstellt. Er bietet mit Coworking und einer großen Community ebenfalls Unterstützungsangebote für Organisationen bei der Entwicklung und Umsetzung innovativer Lösungen angesichts sozialer Herausforderungen. Oder die "Villa Gründergeist", die Miriam Penkhues als ersten "Coworkingspace" in katholischer Trägerschaft, nämlich des Bistums Limburg, präsentiert. Hier könnten Sozialunternehmer und kirchliche Mitarbeitende sinnstiftend und gemeinsam an gesellschaftlichen Zukunftsfragen arbeiten. Für das Bistum Würzburg stellt Burkhard Hose eine Anregung vor, die als pastorales Experiment initiiert wurde. In einem neuen Wohngebiet mit vielen Familien, aber auch Singles hat die Diözese ein Projekt angestoßen, bei dem es darum geht, als Kirche nicht schon mit vorgefertigten Ideen aufzutauchen, sondern von dem zu lernen, was im Raum passiert, also von den dort lebenden Menschen, um dann zu fragen, wo sich Kirche einklinken und etwas zum Gelingen beitragen kann.
Kirche im öffentlichen Raum sichtbar machen
Die PopUpChurch, ein Projekt von Pastorinnen und Pastoren der Nordkirche, will Kirche im öffentlichen Raum sichtbar machen: "überraschend, neugierig, dialogbereit", wie Diana Freyer erklärt. Daher gehe man an U-Bahn-Stationen, auf den Markt, an die Autobahnraststätte oder auf ein Festival. Mal hätten die Interventionen Bezug zu kirchlichen Festen, mal seien es Aktionen anlässlich eines Events. Während das Stadtdekanat Stuttgart mit dem Projekt "St. Maria als …" den Kirchenraum der Gemeinde für vielfältige soziale und kulturelle Veranstaltungen öffnet. Unter dem Motto "Wir haben eine Kirche. Sie haben eine Idee?" ist dort jeder eingeladen, auf diese Weise kirchliches Leben mitzugestalten.
"Viele sehr unterschiedliche Projekte und Initiativen aus dem kirchlichen, aber bewusst ergänzend auch aus dem rein säkularen Raum unter der Maßgabe 'Community Organizing', 'Networking' oder 'Touchpoints' sollen über bisher ungekannte Zugänge Lust aufs Ausprobieren im Kontext von Gemeindebildung machen", sagt Frank Reintgen, Mitglied des Vereins "future2" und Mitorganisator des Kongresses. "Denn wir spüren ja längst überdeutlich, dass es so nicht weitergehen kann. In einer pluralisierten Gesellschaft braucht man viele Modelle, wie Kirche ihren Auftrag noch erfüllen kann", findet der Leiter des Fachbereichs Gemeindeentwicklung & Engagementförderung im Erzbistum Köln". Natürlich erzeugten pastorale Neuerungen auch Reibung, für manche fehlten auch noch die nötigen Systeme und Strukturen. Und immer sei die viel beschworene Einheit in der Vielfalt ein Spagat. Dennoch sei manches schon andernorts mit Erfolg auf dem Weg. "Davon können wir uns inspirieren lassen und lernen. Katholisch sein hat viele Gesichter", meint Reintgen, der den Strategiekongress auch als Multiplikatorenveranstaltung versteht und vor allem als Ermutigung, "eben weil sich Kirche mit Veränderung nun mal schwer tut".
Früher sei die pastoral versorgte Kirchengemeinde am Ort das Zentrum des kirchlichen Lebens gewesen, aber diese Form des Kirche-Seins brauche dringend eine Ergänzung. "Nun geht es um neue Formen der Zusammenarbeit. Auch von Erfahrungen im nichtkirchlichen Bereich kann Kirche lernen. Wir müssen weg von der Monokultur zur Vielfalt des Mischwalds", macht er seine Vorstellung einer zeitgemäßen Kirche im Bild anschaulich. "Wir brauchen Variationen im Bestehenden, neue Settings und eine Logik, die bedarfsorientierter ausgerichtet ist. Dazu ist eine Theologie nötig, die Platz schafft für Vielfalt und keine Angst hat vor Unterschiedlichkeit." Eine solche Tagung sei wie eine Konzeptschmiede – mit Impulsen in die Strategieabteilungen der Diözesen hinein. "Eine Art Boxenstopp, denn an manchen Orten haben die Menschen längst die Initiative ergriffen und mit Veränderungen angefangen."
Spielberg stellt Modell der Shared Parishes vor
Pastoraltheologe Spielberg hält übrigens zur kollektiven Motivierung auch noch ein gut funktionierendes Beispiel aus der Praxis bereit – Shared Parishes, wie sie in Amerika existieren – um zu zeigen, wie viel an der eigenen Einstellung hängt und welche positiven Auswirkungen verändertes Denken in Richtung einer pluralen Kirche haben kann. Eine "shared parish" wird als eine Pfarrei definiert, in der sich zwei oder mehr unterschiedliche kulturelle Gruppen Gebäude miteinander teilen, während sie ihre eigenen Gottesdienste und Gruppen beibehalten und so sowohl Raum für Koexistenz als auch Verknüpfungen dieser Gruppen durch gemeinsame soziale Netzwerke und Dienste bieten.
Was denn könne sie nun tun, fragt in der Schlussrunde eine Teilnehmerin fast hilflos, wenn sie selbst zwar pluriform denke, aber ausschließlich umgeben sei von "schwarzen Männern", die sich nicht bewegten? "Gar nichts", entgegnet Spielberg, ohne zu zögern. "Sich ehrlich eingestehen, dass Pluralität nicht gelingt, wenn es keine Förderung für eine solche Kultur gibt. Sich dann vielmehr darum kümmern, dass man selbst zum Segen wird, und sich mit Menschen umgeben, die eine veränderte Denkweise längst verkörpern und mit denen es gut tut, zusammen zu sein."