Theologe ordnet neuestes Banksy-Marien-Kunstwerk ein

"Banksys verletzte Madonna berührt vor Weihnachten"

Banksys jüngstes, ohne Kommentar veröffentlichte Werk zeigt Maria mit Schusswunde in der Brust. Der Kunstexperte Guido Schlimbach erklärt, warum religiöse Symbole bis heute Botschaften vermitteln und wie Weihnachten sie verstärkt.

Autor/in:
Uta Vorbrodt
Außenreklame des 'The Art of Banksy private collection' pop-up Ladens auf der Regent Street im Londoner West End. / © William Barton (shutterstock)
Außenreklame des 'The Art of Banksy private collection' pop-up Ladens auf der Regent Street im Londoner West End. / © William Barton ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Banksy kommentiert seine Bilder selbst nicht, aber in den Kommentaren auf Instagram kann man Deutungsversuche der User lesen. Es könne ein Kommentar zum aktuellen Kriegsgeschehen im Nahen Osten sein, oder Kritik an verunreinigten, giftigen Lebensmitteln. Was kam Ihnen als erstes in den Sinn, als Sie dieses Bild sahen? 

Dr. Guido Schlimbach / © photowerkstatt esser baus (privat)
Dr. Guido Schlimbach / © photowerkstatt esser baus ( privat )

Dr. Guido Schlimbach (Künstlerischer Leiter der Kunststation Sankt Peter in Köln): Ich hatte ganz ähnliche Assoziationen im Kopf. Die Darstellung und das Sprayen auf vorhandene Gegenstände sind typisch für Banksy. Dieses Metallstück hat er wahrscheinlich gefunden und es für gut erachtet, um dort diese Madonna aufzubringen. Ich könnte mir das sehr gut vorstellen, dass es natürlich einen ganz aktuellen Bezug auf die kriegerischen Situationen hat. 

DOMRADIO.DE: Dass Banksy vor Weihnachten Werke mit christlichen Motiven veröffentlicht hat fast schon Tradition. 2003 gab es mal das Madonnenmotiv "Toxic Mary". Zu sehen ist Maria, die das Jesuskind mit einem Milchfläschchen füttert, worauf ein Giftsymbol abgebildet ist. Seit wann wird in der Kunst mit religiösen Symbolen auf zeitgenössische Probleme aufmerksam gemacht?

Schlimbach: Im Grunde genommen ist Kunst immer zeitgenössisch. Schon im Mittelalter haben die Künstler zeitgenössisch gearbeitet und die Geburtsszene in eine aktuelle Situation verfrachtet. Aber natürlich hat das mit der Moderne und mit den zeitgenössischen Einflüssen eine ganz andere Brisanz und Situierung bekommen. Wenn Sie sich allein Darstellungen der modernen Zeit, moderner Künstler des 20. Jahrhunderts, anschauen, hat es da immer Aktualisierung und Verpflanzung in die jeweilige Zeit und in den jeweiligen Kontext gegeben. Insofern passt es sehr gut in diese Tradition hinein, dass geschaut wird, wie Maria in diesem Fall wirkt. 

Es ist völlig klar, dass sich die Typologie der Gottesmutter über die Jahrhunderte entwickelt hat. Im Mittelalter wurden ihr die Demut, Liebe, Barmherzigkeit und zum Teil auch eine Miterlöserschaft zugebilligt. Das sollte in Bildern transportiert werden. Während es in der Moderne und in der Neuzeit natürlich ganz andere Implikationen gab. Da wurde Maria oft als eine ganz normale weltliche Frau, als Mutter dargestellt. Dieses Mütterliche, die Liebe zu ihrem Kind aber auch die Verzweiflung, Trauer und der Schmerz angesichts dessen, was dieses Kind bedroht, wurde in das Bild eingebracht. 

DOMRADIO.DE: Das heißt, das Motiv Maria mit Jesuskind eignet sich auch sehr für aufrüttelnde und vielleicht auch aufregende Botschaften?

Schlimbach: Ganz sicher - aber auch für tröstliche Botschaften, wenn Sie nur an die ganz berühmte Stalingradmadonna denken. Die wurde 1942 von einem deutschen Truppenarzt, der auch evangelischer Theologe war, im Kessel von Stalingrad mit Kohle auf eine Pappe gezeichnet. Mit einem der letzten Transporte wurde sie aus dem Kessel von Stalingrad gerettet und ist weltbekannt geworden. 

Sie ist heute in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. Maria wird da als als Schutzmantel Madonna, die ihr Kind vor den Bedrohungen der Bomben und der Angriffe schützt, dargestellt. Das ist natürlich auch ein tröstliches Bild. Es muss nicht immer aufrüttelnd sein, sondern kann verschiedene Anmutungen haben. 

Guido Schlimbach

"Die Verletzlichkeit der Metallplatte, auf die er gesprayt hat, soll zeigen, dass das menschliche Leben immer gefährdet ist."

DOMRADIO.DE: Kommen wir noch einmal zurück zur Deutung des jüngsten Banksy-Werks. Dadurch, dass Maria einen Schuss in der Brust sitzen hat, wird ja die schützende Mutter verletzt?

Schlimbach: Ja, ich denke, das war sicherlich von Banksy kalkuliert. Die Verletzlichkeit der Metallplatte, auf die er gesprayt hat, soll zeigen, dass das menschliche Leben immer gefährdet ist. Das betrifft uns gerade in unseren Tagen, in denen wir innerhalb Europas und in benachbarten Regionen den Krieg vor der Tür haben. 

Dass uns das gerade in den Tagen vor Weihnachten besonders betrifft und angreift, auch in unserer Weihnachtsfreude, hat er hier wahrscheinlich ganz bewusst so inszeniert, um zu sagen, dass der Mensch, die Frau, die Mutter auch verletzlich ist. Trotzdem stellt er sie als lebendige, schützende Mutter dar. 

Guido Schlimbach

"An Weihnachten geht es darum, dass neues Leben entsteht und dass das menschliche Leben weitergegeben wird."

DOMRADIO.DE: Diese Botschaft ist jetzt mehr als 2000 Jahre alt und eignet sich auch heute noch sehr, um neue künstlerische Botschaften zu formulieren. Was bedeutet das eigentlich? 

Schlimbach: Künstlerinnen und Künstler haben einen tiefen Sinn für das, was aktuell vorhanden ist. Aber die Botschaft von Weihnachten ist ein universales Bild, das die Menschen alle Zeit berührt und angerührt hat. So ist es bis heute. Das macht Weihnachten für uns natürlich zu einem ganz anderen Fest, weil andere Emotionen ins Spiel kommen als beispielsweise in der Karwoche und an Ostern. Hier geht es darum, dass neues Leben entsteht und dass das menschliche Leben weitergegeben wird. Wer könnte sich dem Anblick eines Neugeborenen in irgendeiner Weise verschließen? Das berührt alle Menschen. Das macht Weihnachten zu einem ganz besonderen Fest, weil Gott in Jesus Christus in einem kleinen Kind auf die Welt gekommen ist.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

Kirche und Kunst

Die Kirche war über Jahrhunderte hinweg die maßgebliche Institution zur Förderung von Kunst und Kultur. Neue Baustile und Techniken fanden meist in Architektur und Ausstattung sakraler Gebäude ihre Erstanwendung. Wenngleich die einstige Monopolstellung nicht mehr in dieser Form vorhanden ist, so legt die Kirche in der sakralen Kunst auch heute noch großen Wert auf Qualität.

Ein Glasfenster des Künstlers Markus Lüpertz in der Kirche Sankt Andreas / © Beate Laurenti (KNA)
Ein Glasfenster des Künstlers Markus Lüpertz in der Kirche Sankt Andreas / © Beate Laurenti ( KNA )
Quelle:
DR