Einige lachen, andere können nicht aufhören zu weinen. Am polnisch-ukrainischen Grenzübergang in Medyka warten Hunderte Menschen tagelang auf ihre Familien und Freunde aus der Ukraine. Wenn sie sich wiedersehen, überschlagen sich die Emotionen.
Bei den meisten überwiege Erleichterung, in Sicherheit zu sein, erzählt Francesco Pistilli. Der römische Fotograf ist nach Medyka gereist, um die Lage zu dokumentieren.
Frauen und Kinder zu Fuß, im Auto, mit Bus oder Zug
Laut polnischem Innenministerium haben bislang mehr als 575.000 Menschen die acht Grenzübergänge nach Polen überquert. Allein am Mittwoch waren es 95.000. Zu den wichtigsten gehört Medyka. Über das kleine polnische Dorf erreichen viele Geflüchtete ihr erstes Ziel: Przemysl. Sie kommen zu Fuß, im Auto, mit Bussen oder dem Zug, hauptsächlich Frauen und Kinder. Die Männer bleiben zuhause, verteidigen ihr Land gegen die russischen Invasoren.
So auch der Vater von Elena, über 60 Jahre alt. Elena selbst erreichte Polen mit ihren beiden Söhnen und ihrer Mutter. Drei Tage waren sie mit dem Auto aus Charkiw unterwegs. Die zweitgrößte Stadt der Ukraine wird seit Tagen bombardiert und beschossen. "Auch wenn ich mir Sorgen um meinen Vater mache, bin ich froh, dass ich meine Kinder retten konnte", sagte die 43-Jährige. Mit Timur (11), Vladimir (13) und ihrer Mutter möchte sie nach einem kurzen Stopp weiterreisen. Sie habe Freunde in Polen und werde dort erst mal unterkommen.
Hilfe in Privat-PKW
Przemysl ist ein Knotenpunkt. Stadt und Bewohner haben sich schnell auf den Flüchtlingsstrom eingerichtet. Ein leerstehendes Einkaufszentrum wurde zu einem Durchgangslager, Schulturnhallen zu Schlafsälen umfunktioniert. Die meisten Ankommenden bleiben nur kurz in der 65.000-Einwohner-Stadt. Viele fahren sofort weiter. An den ankommenden Bussen und Zügen warten freiwillige Helfer, oft mit ihren Privatautos, haben die Namen der jeweiligen Zielstadt an die Windschutzscheibe geklebt und nehmen Geflüchtete in Empfang.
Viele Menschen kommen aber auch mit dem eigenen Fahrzeug oder zu Fuß aus der Ukraine. Sie haben oft Tage, mindestens aber viele Stunden an der Grenze gewartet. Mit dem Nötigsten versorgt werden sie unter anderem von Dominika Chylewska von Caritas Polen. "Wir geben hier jeden Tag Tausende Essen aus; unsere Helfer kochen die ganze Nacht Suppe", erzählt sie. In drei Schichten mit über 100 Helfern arbeiteten sie hier; zusätzlich schickten sie Lebensmittel in die Ukraine. Aber manchmal sei es schwierig, sich vorzubereiten, weil die Zahl der Geflüchteten stark variiere.
Caritas versorgt mit dem Nötigsten
Und nicht nur die Zahl, wie Fotograf Pistilli erzählt. Er kam mit Kollegen am Sonntag in Przemysl an. In den ersten Tagen überquerten noch sehr viele Studenten und Arbeiter aus dem Ausland die Grenze von der Ukraine nach Polen. Viele von ihnen zu Fuß, weil sie dort nicht in die Züge gelassen wurden. Laut Pistilli gab es eine feste Reihenfolge: erst Menschen mit Bahntickets, dann Frauen und Kinder; dann folgten ukrainische Staatsbürger. Man könne sich vorstellen, so Pistilli, dass bei den überfüllten Zügen kaum eine Chance bestand, mitfahren zu können.
Am Mittwoch sei die Zahl der Nicht-Ukrainer plötzlich abgeebbt. Gründe kenne er nicht.
Angriffe auf nicht-weiße Menschen
Gegen jene, die bereits im Land sind, machen polnische Rechtsextreme mobil. In Przemysl kam es zu Angriffen auf Menschen mit nicht-weißer Hautfarbe. Die polnische Polizei warnte über Twitter vor von rechten Gruppierungen verbreiteten Falschnachrichten von erhöhter Gewalt an der Grenze.
Insgesamt aber überwiegt deutlich die Hilfsbereitschaft. Die vielen polnischen Freiwilligen werden von zahlreichen Menschen aus ganz Europa unterstützt. Lucas, angehender Priester und Franziskaner, ist aus Schweden angereist, um die Caritas vor Ort zu unterstützen. Er hilft den Geflüchteten bei der Weiterreise oder sucht nach Unterbringungen. Der Krieg bereite ihm zwar große Sorgen, so der 21-Jährige; er versuche sich aber auf das Positive zu konzentrieren.
Ihn mache glücklich, helfen zu können und die vielen hart arbeitenden Freiwilligen zu sehen.
Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR sprach am Donnerstag von rund einer Million Geflüchteter. Laut Schätzungen könnten insgesamt vier Millionen Menschen die Ukraine verlassen.