Dienstagmorgen im Bibliotheksgebäude der Universität Köln: Seit langen sind die Studierenden wieder zu einem Seminar zusammengekommen, einige sind noch digital zugeschaltet. Thema heute: Geschichten von Juden und Jüdinnen in Deutschland in der Gegenwart. Die Studierenden lernen an diesem Vormittag, dass der der Begriff "jüdisch" vieles meint: Nicht jeder Jude ist religiös, oft steht der Begriff für eine eigene Tradition, eine bestimmte Lebensweise oder Kultur. Für viele ist das neu.
Das Seminar ist Teil eines Projektes an der Universität Köln, das sich vor allem an Lehramtsstudierende wendet: Ziel ist es, die angehenden Lehrerinnen und Lehrer für Antisemitismus an Schulen zu sensibilisieren und ihnen Strategien an die Hand zu geben, mit dem Thema umzugehen. Denn längst ist Antisemitismus auch auf deutschen Schulhöfen angekommen: "Ich erinnere mich an Beleidigungen wie 'Du Jude!'", erzählt die 21-jährige Patricia Stolarczyk, die Geschichte und Philosophie auf Lehramt studiert. Ihr Kommilitone Lukas Chronz ergänzt: "Und es gibt viele – vor allem junge Leute, die nicht mehr wissen, was die Zahl 'sechs Millionen' bedeutet und einen 'Schlussstrich' fordern. Lehrkräfte sind ein wichtiger Begleiter der kommenden Generation und prägen sie mit. Deswegen glaube ich, dass es wichtig ist, Bescheid zu wissen."
"Praxis-Gap" Antisemitismus
Nicht alle Lehrkräfte sind darauf vorbereitet, antisemitische Sprüche werden ignoriert; manchmal auch gar nicht als solche identifiziert. Immer noch wird an Schulen das Thema Antisemitismus vor allem im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus im Gesichtsunterricht vermittelt. Doch im Schulalltag seien die Lehrkräfte häufig mit ganz anderen, aktuellen Aspekten konfrontiert, sagt Silke Kargl. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und leitet gemeinsam mit einer Kollegin das Seminar: "Man hat es vorher nicht mitbekommen und dann werden in der Klasse plötzlich Holocaustwitze gemacht oder behauptet, Israel dürfe nicht existieren. Das ist ein Praxis-Gap, der für die Studierenden entsteht!"
Seit 2018 versucht das Projekt "school is open" an der Uni Köln, diese Praxis-Lücke zu schließen. Eine interaktive Plattform, für die Studierende und Lehrende gemeinsam unterschiedliche Formate zur Arbeit gegen Antisemitismus erarbeiten. Dass es am Zentrum für Lehrerinnen- und Lehrerbildung der Uni angesiedelt und somit zentral in der Struktur der Ausbildung von Lehrkräften verankert ist, sei einzigartig in Deutschland, sagt Silke Kargl: "Der Druck ist ja in der Welt, dass wir Antisemitismus zurückdrängen müssen. Und häufig kommt dann als Idee, dass das alle in der Schule wissen müssen." Das sei aber nicht so einfach, weil es Freiheit von Forschung und Lehre gebe und man nicht alle Sport- und Physikstudenten dazu zwingen könne, sich mit dem Thema zu beschäftigen. "Das funktioniert einfach vom strukturellen Aufbau gar nicht", sagt sie.
Kooperation mit Yad Vashem
Silke Kargl war es auch, die die Idee für eine Kooperation zwischen der Uni Köln und der israelischen Holocaustgedenkstätte Yad Vashem hatte: "Für mich war das eine immense Erfahrung zu sehen, dass immer mehr jüdische Kinder Schulen verlassen. Und ich fragte mich: Wir sprechen immer über Inklusion und jüdische Kinder werden von Schulen verjagt? Da ist etwas total schief gelaufen!" Im November 2020 wurde ein Bildungsabkommen unterzeichnet, das zum Ziel hat, Themen wie Antisemitismus und Judentum fächerübergreifend in der Lehrendenausbildung zu verankern.
Im Rahmen dieser Kooperation werden die Studierenden in diesem Herbst erstmals ein Praktikum in Yad Vashem machen, das ihnen zusammen mit dem Seminar als Berufsfeldpraktikum anerkannt wird. Fünf Tage lang werden sie dort sein, die Ausstellung besuchen und an Workshops der "International School of Holocaust-Studies" teilnehmen.
Praktikum in Israel
Auch der 26-jährige Marvin Gärtner wird mitfahren. Er studiert evangelische Religion und praktische Philosophie und freut sich schon auf die Reise: "Von Yad Vashem erhoffe ich mir vor allem, dass die Arbeit gegen Antisemitismus und in Erinnerung an die Shoah noch mal ganz anders aufgearbeitet und vermittelt werden kann. Dass man da noch mal neue Informationen, Methoden und Möglichkeiten lernen kann!"
Die 23-jährige Katharina Kapturske wird auch mitfahren. Die angehende Geschichts- und Deutschlehrerin hofft, dass sie dort neue, zeitgemäße Methoden lernt, das Thema im Unterricht zu vermitteln. Und wie sie mit Antisemitismus umgeht, wenn er ihr im später im Schulalltag begegnet. Auch wenn es kein Patentrezept gibt, eins hat die Studentin jetzt schon gelernt: "Auf jeden Fall sofort intervenieren. Auch gerne vor der ganzen Klasse ansprechen, dass die betreffende Person nicht denkt, sie kommt damit durch. Viele benutzen diese Beleidigung ja auch aus Unwissenheit. Ich denke, als Lehrkräfte ist man in der Verantwortung und hat man die Pflicht, Fälle von Diskriminierung anzusprechen und anzupacken. Da muss man Aufklärung betreiben, auch wenn dafür eine ganze Schulstunde draufgeht!"