DOMRADIO.DE: Noch bevor Benedikt XVI. zu Grabe getragen wurde, hat sich sein langjähriger Vertrauter Georg Gänswein in Interviews zu Wort gemeldet. Wie kommt das im Vatikan an?
Jürgen Erbacher (ZDF-Journalist und Vatikanbeobachter): Viele Stellen waren doch sehr verwundert, dass es da schon die ersten Interviews gab und diese dann keine persönliche Perspektive von Erzbischof Gänswein auf den Verstorbenen zum Thema hatten, sondern er sich dann auch zu kirchenpolitischen Entscheidungen von Papst Franziskus geäußert hat und wie Benedikt darauf reagiert haben soll. Es gibt Stimmen, zum Beispiel von Kardinal Kasper oder auch vom Präfekten der Selig- und Heiligsprechungskongregation, die gesagt haben: Also eigentlich müsste man in so einer Situation eher schweigen.
DOMRADIO.DE: Erzbischof Gänswein war noch zum Präfekten des Päpstlichen Hauses ernannt worden, kurz bevor Benedikt sich vom Papstamt zurückgezogen hat. Das heißt, Gänswein diente zunächst Papst Franziskus und als persönlicher Sekretär auch Benedikt XVI. Im Februar 2020 hat Franziskus genau das rückgängig gemacht. Er hat auf Gänsweins Dienste verzichtet und verfügt, er solle sich jetzt nur noch um den altersschwachen Joseph Ratzinger kümmern. Und genau das scheint Gänswein doch empfindlich getroffen zu haben. Das jedenfalls zeigen Vorabveröffentlichungen aus seinem Buch.
Erbacher: Es ist ja nicht nur so, dass es diese Interviews gab rund um den Tod von Benedikt XVI., sondern es wurde jetzt schon angekündigt, dass am kommenden Donnerstag ein Buch erscheinen soll, das Erzbischof Gänswein zusammen mit einem italienischen Journalisten geschrieben hat. "Nichts als die Wahrheit" soll darin berichtet werden: über Krisen im Pontifikat von Benedikt XVI., aber auch über die letzten zehn Jahre, in denen Benedikt als Papst emeritus lebte. Und darin äußert sich dann Erzbischof Gänswein auch, zumindest soweit wir das jetzt von Vorabdrucken wissen, über diese Teil-Versetzung. Er trägt weiter den Titel "Präfekt des Päpstlichen Hauses". Aber Franziskus hat gesagt: Kümmern Sie sich ganz um Benedikt, XVI., und diese Entscheidung von Papst Franziskus hat ihn damals sehr verletzt. Das schreibt er so in diesem Buch. Und Benedikt, XVI. hatte dann auch versucht, beim amtierenden Papst zu intervenieren, aber der ließ sich wohl nicht umstimmen.
Es ist, denke ich, sicherlich verständlich, dass man von so einer Entscheidung sehr verletzt ist. Die Frage ist, wie kommuniziert man das dann ? Und ist ein Buch jetzt der richtige Ort, um seine persönlichen Gefühle kundzutun? Gerade in so einer delikaten Situation, wo sich ja immer noch viele fragen: Gelingt denn ein Rücktritt? Und kann es funktionieren mit einem emeritierten Papst und einem amtierenden Papst? Die Fragen sind ja noch nicht alle beantwortet, die mit diesem historischen Rücktritt in Verbindung stehen. Und da ist es natürlich schwierig, wenn jetzt da dann auch noch mal so ein Buch in so eine kritische Phase hineinkommt.
DOMRADIO.DE: Die Vorabveröffentlichungen sind natürlich eine gute PR. Da kann man sich jetzt wiederum fragen, wie denn Papst Franziskus so ein Taktieren bewertet und ob er sich so einen PR-Mann in eigener Sache wieder gerne ins Haus holen würde. Da gab es ja in der Vergangenheit schon mal Ärger im Zusammenhang mit einer Buchveröffentlichung.
Erbacher: Das war genau in dem Moment, in dem Papst Franziskus sagte: Lieber Erzbischof Gänswein, ich entpflichte Sie vom aktiven Dienst als Präfekt, kümmern Sie sich um den Emeritus. Damals hatte Kardinal Sarah ein Buch veröffentlicht, da ging es um den Zölibat und um die Frage, ob man der Frage des Pflichtzölibats Lockerungen vorsehen sollte. Da hat Kardinal Sarah den emeritierten Papst involviert. Das hat daraufhin dann doch zu Verstimmungen bei Papst Franziskus.
Jetzt muss man sehen, wie Papst Franziskus damit umgeht. Am Montag hat er Erzbischof Gänswein ja empfangen, das stand auf der offiziellen Audienzliste, zu den Inhalten, erfährt man wie immer erst malnichts, aber man wird das, denke ich, in den nächsten Tagen oder Wochen sehen. Denn Papst Franziskus muss ja jetzt entscheiden: Wie geht es denn weiter mit dem Präfekten des Päpstlichen Hauses, der offiziell noch im Amt ist, aber diesen Dienst bisher ja nicht mehr aktiv ausgeübt hat?
DOMRADIO.DE: Welche Möglichkeiten hat Franziskus denn, ihn künftig einzusetzen und wie wird er sich da wohl entscheiden? Beste Freunde scheinen Franziskus und Gänswein ja nicht mehr zu werden.
Erbacher: Gut, das waren sie glaube ich auch nie. Das hat zumindest auch Erzbischof Gänswein auch immer ganz offen zugegeben und gesagt, dass der Stil doch von beiden sehr unterschiedlich sei. Bis zur vergangenen Woche hätte ich mir immer auch gut vorstellen können, dass Papst Franziskus sagt: Nehmen Sie erst mal wieder die Aufgabe des Präfekten des Päpstlichen Hauses aktiv wahr. Jetzt muss man mal gucken, rund um diese Buchveröffentlichung und auch die Interviews.
Papst Franziskus hat aber auch in der Vergangenheit kein Problem damit gehabt, in seinem Umfeld Mitarbeiter zu haben, die nicht unbedingt seinen Kurs vertreten. Der Name Kardinal Sarah ist schon gefallen. Der war lange Zeit Chef der Kongregation für die Gottesdienste. Es ist allzeit bekannt gewesen, dass Franziskus und Kardinal Sarah mit Blick auf die Liturgie durchaus unterschiedliche Richtungen und Vorstellungen vertreten. Aber trotzdem war der Kardinal über viele Jahre noch bis zu einem normalen Pensionsalter im Amt. Von daher kann der Papst durchaus auch Menschen mit anderen Meinungen um sich herum haben.
Wie er jetzt in dem Fall entscheiden wird, das ist ein Blick in die Glaskugel. Ich glaube, da wagt im Moment in Rom und sonstwo niemand wirklich eine Prognose. Früher haben Sekretäre von Päpsten, Ehemalige, durchaus auch Bischofssitze anschließend anvertraut bekommen. Da bin ich mir nicht sicher, ob Franziskus jetzt Erzbischof Gänswein nach Deutschland schicken würde. Man kann Nuntius werden irgendwo. Aber es gibt auch im Vatikan sicherlich noch den einen oder anderen Posten. Vielleicht, und das würde alle vielleicht dann doch überraschen, bleibt er ja auch einfach Präfekt des Päpstlichen Hauses.
DOMRADIO.DE: Müssen wir uns jetzt auf permanente Wortmeldungen von Georg Gänswein einstellen? Nach dem Motto: Was Benedikt XVI., wirklich gefühlt, gemeint und gedacht hat? Also anders gefragt: Bringt sich Gänswein da in Position, um neuer Frontmann und Sprecher der konservativen Kreise in Rom zu werden?
Erbacher: Ich glaube, dass Papst Franziskus ihm sicherlich dann signalisieren würde, dass er sich da zurückhalten sollte. Ob er sich nachher dran hält, wird man dann sehen. Es gibt auch Kollegen, die sagen: Vielleicht hat der Papst übers Wochenende auch schon an der einen oder anderen Stelle reagiert. Beim Angelus am Sonntag zum Beispiel gibt es ein Zitat vom Papst: Das Geschwätz ist eine tödliche Waffe. Wir sollten uns fragen: Bin ich ein Mensch, der trennt oder der Menschen zusammenführt? Und in der Predigt an Dreikönig, ging es dann darum: Lasst uns Gott anbeten und nicht unser Ego. Da sehen jetzt einige Beobachter schon so indirekte Antworten von Papst Franziskus. Sowas gab es in der Vergangenheit durchaus auch mal, dass er so indirekt geantwortet hat, die Personen selbst aber da belassen hat, wo sie waren. Und von daher wird es auf jeden Fall spannend bleiben in diesem Pontifikat.
Das Interview führte Hilde Regeniter.