DOMRADIO.DE: Fangen wir mit den Anschlägen auf Johannes Paul II. an, in den Jahren 1981 und 1982. Was genau war da los?
Nersinger: Damit hat man nicht gerechnet. Daher waren auch die Sicherheitsmaßnahmen auf dem Petersplatz eher gering. Es gab kaum Überwachungskameras. Es gab kaum Leute, die gefilmt haben. Das war insgesamt eine schwierige Gesamtlage - und die Menschen reagierten vor allem mit einem riesigen Schock.
DOMRADIO.DE: Der Papst war ja auch schwer verletzt. Welche Konsequenzen haben die Verantwortlichen im Vatikan damals aus den Vorfällen gezogen?
Nersinger: Man hat die ganzen Sicherheitsmaßnahmen hochgefahren, soweit es möglich war. Es ist immer ein schwieriges Unterfangen, eine große Veranstaltung mit dem Papst so zu gestalten, dass sie einerseits die größtmögliche Sicherheit für den Papst gewährleistet, aber gleichzeitig nicht die Spontanität und das Ereignis an sich mindert. Das ist bis heute eine große Schwierigkeit.
DOMRADIO.DE: Wie wird der Papst auch heute darüber hinaus vor Attentaten geschützt?
Nersinger: Es gibt die beiden Sicherheitskorps, die Schweizergarde und die päpstliche Gendarmerie, darüber hinaus sorgen die italienische Polizei, die Carabinieri und die Geheimdienste für die Sicherheit des Papstes. Dazu gibt es verschiedene Überwachungsmöglichkeiten. Es gibt ein großes und gut ausgestattetes Überwachungsnetz mit Videokameras. Es gibt eine Art Drohnenabwehr. Mittlerweile gibt es also eine ganze Reihe von Vorsichtsmaßnahmen.
Es gibt auch Sicherheitsmaßnahmen für die Besucher, so dass Daten in den Sicherheitsschleusen erhoben werden. Aber da gibt es ein aktuelles Problem. Heute kann man Waffen von einem 3D-Drucker herstellen lassen, die nicht auf Metallbasis funktionieren, sondern auf Kunststoff. Und so kann man auch die Munition auf Kunststoffbasis herstellen. Das zu erfassen, ist für die Durchleuchtungsapparate nicht so leicht.
DOMRADIO.DE: Man muss sich natürlich ständig auf den neuesten Stand bringen. Wie machen die vatikanischen Sicherheitskräfte das?
Nersinger: Man arbeitet sehr eng mit den Italienern zusammen. Teilweise werden die Sicherheitskräfte auch ins Ausland geschickt, wo sie zum Beispiel in Quantico von der FBI-Acadamy ausgebildet werden. Es wird auch mit den irischen Sicherheitskräften zusammengearbeitet und natürlich auch mit befreundeten Geheimdiensten.
Aber wir haben ja letzte Woche gesehen, dass auch der Secret Service, einer der besten Geheimdienste der Welt, versagen kann. Dementsprechend ist jeder Schutz in gewisser Weise limitiert. Wir hören auch vom BND, dass er nicht so funktioniert, wie er funktioniert sollte. Das hat mit den ganzen neuen Anforderungen zu tun.
DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns auf Papst Franziskus schauen. Was ist er für ein Charakter? Hält er sich an die Sicherheitsvorschriften, die ihm seine Leute nahelegen?
Nersinger: Leider nicht. Er ist in diesem Punkt, muss man ganz offen sagen, sehr beratungsresistent. Er bricht aus diesen Sicherheitskonzepten immer wieder aus. Dadurch hält er den Kontakt mit den Gläubigen. Auf der einen Seite finde ich das fantastisch. Auf der anderen Seite ist das aber der Horror für jeden Sicherheitsmann und Sicherheitsbeamten, der da verantwortlich ist. Das ist bei Papst Franziskus, der so spontan ist und der häufig aus dem üblichen Verhalten ausbricht, äußerst schwierig.
DOMRADIO.DE: Haben Sie ein Beispiel?
Nersinger: Die Mittwochs-Audienzen bereiten mir jede Woche Bauchweh. Wenn ich sehe, dass der Papst auf seinem Papamobil Kinder mitnimmt, wird mir regelrecht schwindelig vor den Augen. Das ist eine wunderschöne Geste und für alle ist das ein einmaliges Erlebnis. Aber ich halte das für so hochriskant, dass ich dem Papst dringend davon abraten würde. Ich verstehe auch nicht, weshalb er das tut. Er muss sich ja bewusst sein, dass er nicht nur sich gefährdet bei solchen Gesten, sondern auch unschuldige Kinder, das Sicherheitspersonal und die Leute auf dem Petersplatz. Ich glaube, da müsste man stärker auf den Papst einwirken, dass er sowas unterlässt.
Das Interview führte Hilde Regeniter.