Jung, charismatisch, engagiert – diese Attribute werden mit Samantha Woll in Verbindung gebracht. Die 40-Jährige gehörte der neuen Garde an politischen Führern in der alten Autostadt Detroit an. Sie arbeitete als politische Direktorin für die Justizministerin von Michigan, Dana Nessel, und organisierte den Wahlkampf der Demokratin Stephanie Chang für den Senat des Bundesstaates. Und sie hauchte der "Isaac Agree Synagogue" als Präsidentin neues Leben ein.
Am Wochenende lag der leblose Körper von Samantha Woll blutüberströmt auf einer Straße in Downtown Detroit. Die Jüdin war vor der einzigen frei stehenden Synagoge der Stadt niedergestochen worden und hatte sich bis hierhin schleppen können, bevor sie starb. Wurde sie Opfer eines antisemitischen Verbrechens?
Zunehmend Angst in der jüdischen Gemeinde
Die Polizei von Detroit mahnt zu Geduld. Noch könne nichts über das Motiv gesagt werden; die Ermittlungen dauerten an. Doch die Angst in der jüdischen Gemeinde wächst. Denn das Timing des Angriffs ist verdächtig; fällt es doch zusammen mit Warnungen des US-Heimatschutzministeriums über eine erhöhte Gefahrenlage für Hassverbrechen angesichts des eskalierenden Konflikts in Israel und dem Gazastreifen. Gezielte Gewaltakte dürften zunehmen, während der Konflikt fortschreitet, so heißt es.
Obwohl Michigan Heimat einer der größten arabischen Communitys in den USA ist, galt die progressive Samantha Woll nicht als wahrscheinliches Ziel von Anschlägen – zumal sie sich schon seit langem intensiv um Verständigung zwischen Juden und Muslimen einsetzte. Polizeichef James White betonte, es gebe bislang "keine Belege, die nahelegen, dass dieses Verbrechen durch Antisemitismus motiviert war".
Falsche Bombendrohungen
Allerdings: Seit dem Morden der radikalislamischen Hamas in Israel am 7. Oktober sind jüdische Gemeinden überall in den USA zum Ziel von Feindseligkeiten geworden. In Massachusetts, Pennsylvania und Rhode Island gingen Bombendrohungen bei Synagogen ein, die sich jedoch später als falsch erwiesen. Jüdische Gemeinden erhöhen fast überall die Sicherheitsvorkehrungen.
Besonders angespannt ist die Lage in New York, der Stadt mit der weltweit größten Zahl an Juden außerhalb Israels. Hier leben aber auch viele Palästinenser, die ihre Wut über die Behandlung der Zivilisten in Gaza durch die israelischen Streitkräfte am Wochenende auf die Straße trugen.
In Bay Ridge, einem Stadtteil von Brooklyn, demonstrierten am Samstag Tausende Menschen für Palästina. Viele Bewohner hätten Familie im Gazastreifen. "Sie sind wütend und ängstlich", zeigt Stadtratsmitglied Justin Brennan Verständnis. Sein Herausforderer bei den kommenden Wahlen, Ari Kara, kann das nicht teilen. Ihn störten die antisemitischen Botschaften bei der Demo. "Purer Hass und Aufruf zu Gewalt", klagte er über den Tenor der Proteste. Der Sicherheitsdienst der Gemeinde "B'Nai Yosef" nahm einen 16-Jährigen fest, der mit Gel-Geschossen auf Mitglieder gefeuert hatte.
Null Toleranz für Gewalt
Mitch Silber von der "Community Security Initiative", die antisemitische Übergriffe in New York dokumentiert, berichtet, seine Organisation habe Hunderte Anrufe von New Yorkern erhalten, die sich nicht mehr sicher fühlten. Dennoch riet er, Ruhe zu bewahren.
Die New Yorker Chefanklägerin Letitia James warnt alle Seiten vor Eskalation: "Wir haben null Toleranz für Gewalt." Das würden viele progressive Juden auch von ihren progressiven Verbündeten in der Politik erwarten. Während US-Präsident Joe Biden klare Worte zu den Verbrechen der Hamas fand, herrscht in Teilen der US-Linken bedrückendes Schweigen. Einige fokussieren allein auf die Kritik am Umgang mit der palästinensischen Zivilbevölkerung und zeigen wenig Anteilnahme an den 1.400 von den Hamas-Terroristen abgeschlachteten Israelis.
"Black Lives Matter"-Aktivisten in Los Angeles lösten mit einer Erklärung einen Aufschrei der Empörung aus. Dort hieß es, der Terror der Hamas sei "Widerstand gegen Jahrzehnte der Apartheid und unvorstellbare Gewalt" vonseiten Israels. Nick Melvin treiben solche Reaktionen zur Verzweiflung. "Wir sind gewarnt worden, dass sich die Leute schnell gegen uns wenden werden", sagt der 38-jährige Demokrat, der in LA für den Kongress antritt. "Jetzt erleben wir, wie das passiert: indem eine ganze Gruppe entmenschlicht wird."