Weihbischof Losinger fordert Monitoring von Down-Bluttests

"Lebensrechtsfragen nicht links liegen lassen"

Zu den Gesetzesvorhaben, die durch das Ampel-Aus nicht vollendet wurden, gehört auch die Überprüfung von vorgeburtlichen Tests. Zum Welt-Downsyndrom-Tag fordert der Ethiker und Augsburger Weihbischof Anton Losinger dafür klare Regeln.

Autor/in:
Ina Rottscheidt
Junge mit Down-Syndrom / © avs (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Seit Juli 2022 werden die Bluttests, mit denen die Wahrscheinlichkeit von Trisomie 13, 18 und 21 beim Fötus untersucht werden kann, von der gesetzlichen Krankenversi­che­rung übernommen. Wie hat sich die vorgeburtliche Diagnostik aus Ihrer Sicht seitdem verändert? 

Weihbischof Anton Losinger / © Harald Oppitz (KNA)

Weihbischof Anton Losinger (Mitglied des bayrischen Ethikrates): Der Welt-Downsyndrom-Tag ist für mich deswegen von besonderer Bedeutung, weil er einerseits deutlich macht, wie sich eine technische Methode der Diagnostik von genetischen Defekten perfektioniert hat. 

Und andererseits lenkt er den Blick auf die Auswirkungen für die Menschen, die davon betroffen sind und für die eine verheerende Situation entstanden ist: Dass nämlich ohne eine politische und rechtsstaatliche Kontrolle diese Tests dazu führen, dass kaum mehr Menschen mit einer Trisomie auf die Welt kommen und man den Eindruck bekommt, dass es durch dieses Screening immer weniger Kinder mit Downsyndrom gibt.

Anton Losinger

"Dass nämlich ohne eine politische und rechtsstaatliche Kontrolle diese Tests dazu führen, dass kaum mehr Menschen mit einer Trisomie auf die Welt kommen und man den Eindruck bekommt, dass es durch dieses Screening immer weniger Kinder mit Downsyndrom gibt."

Und wir beobachten auch, dass die pränatale Diagnostik mittlerweile dahingehend perfektioniert wird, dass man auch andere Merkmale, wie etwa das Geschlecht, erkennen kann. Das bedeutet, dass zum Beispiel Mädchen in Ländern wie Indien oder China schlechte Chancen haben. Deswegen müssen solche Tests mit einer juristischen und politischen Kontrollfunktion ausgestattet werden, die die Rechte von vermeintlich "unperfekten" Menschen schützt. Denn eine Gesellschaft, die sich als human bezeichnet, muss sich daran messen lassen, wie benachteiligte Menschen in ihr mit ihrem Lebensrecht und ihrer Würde berücksichtigt werden. 

DOMRADIO.DE: In Deutschland werden bei der vorgeburtlich diagnostizierten Trisomie nach Expertenschätzungen neun von zehn Schwangerschaften abgetrieben. Länder wie Dänemark bieten Schwangeren schon seit vielen Jahren ein kostenloses pränatales Screening an, mit der Folge, dass so gut wie gar keine Kinder mit Downsyndrom geboren werden. Was sagt das denn eigentlich über unsere Gesellschaften aus? 

Losinger: Das gibt auch eine Replik auf die Form der Gesellschaft, in der sie leben und die sich viel zu wenig darauf vergewissert, dass sie Lebensrecht und den Schutz der Würde jener Menschen berücksichtigt, die zu den Schwächeren gehören. Das wirft Fragen auf. Erstens: Welches Menschenbild vertreten wir, wenn die Detektion eines genetischen Defektes bei einem Kind vor seiner Geburt als hinreichenden Grund zur Verwerfung führt? Zweitens: Was bedeutet für uns Inklusion? Also, die Forderung aus der UN-Behindertenrechtskonvention, dass der Mensch mit Behinderung in die Mitte der Gesellschaft gehört. 

Anton Losinger

"Welches Menschenbild vertreten wir, wenn die Detektion eines genetischen Defektes bei einem Kind vor seiner Geburt als hinreichenden Grund zur Verwerfung führt?"

Und drittens eine Frage, die mich persönlich immer wieder bewegt: Was macht es mit uns, wenn wir feststellen, dass nur 20 Prozent aller Behinderungen pränatal sind, aber die absolute Mehrheit postnatal – also im Leben durch Krankheit oder Unfälle - erworben wird? Und dass wir selber auch zu den Menschen gehören könnten, die von einer Behinderung betroffen sein werden? Und auch hier geht die Frage wieder zurück an den Anfang: Wie human eine Gesellschaft ist, zeigt sich daran, wie wir mit den Schwachen in unserer Mitte umgehen.

DOMRADIO.DE: Würden Sie unsere Gesellschaft denn unter diesen Gesichtspunkten als "human" bezeichnen?

Losinger: Ich halte den Grad des Mitfühlens und der Inklusionsfähigkeit unserer Gesellschaft, die nicht zu den Ärmsten in der Welt gehört, noch für steigerungsfähig. Ich erinnere in dem Zusammenhang an den unlängst verstorbenen ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler, der einmal gesagt hat: "Eine Gesellschaft zeigt ihr wahres humanes Antlitz immer daran, wie sie mit den Schwächsten in ihrer Mitte umgeht." Und das ist mein Appell am Welt-Downsyndrom-Tag: Wir brauchen juristische und politische Maßnahmen, die effizient das Lebensrecht und die Würde aller Menschen im Auge haben, auch gerade der Schwachen und der Benachteiligten. Ich denke, wir könnten insgesamt, was unsere soziale Kohärenz anbelangt, in unserem Land noch ein bisschen wachsen. 

DOMRADIO.DE: In der jetzt endenden Legislaturperiode hatten sich im Bundestag Abgeordneter aller Fraktionen zusammengetan, um ein Monitoring zu veranlassen, das die Folgen der Kassenzulassung des Praenatests beobachten und ein Expertengremium einrichten sollte, um die ethischen, rechtlichen und gesundheitspolitischen Grundlagen der Zulassung zu prüfen. Im Durcheinander des Ampel-Aus wurde der Antrag im Bundestag aber am Ende von der Agenda gestrichen. Was sagt das über die Prioritäten im Bundestag und die Lobby für Menschen mit Behinderung aus? 

Losinger: Insgesamt würde ich aus heutiger Perspektive durchaus etwas Hoffnungsvolles sehen: Ich nehme wahr, dass sich viele Institutionen, auch kirchliche, um Menschen mit Behinderung kümmern, auch im Bereich der Bildung und der Inklusion. Aber insgesamt sehe ich im Hinblick auf die politische und rechtliche Bewertung dieses Problems noch zu wenig Initiative. Und es wäre schade, wenn gerade in diesem politischen Umschwung, den wir derzeit erleben, so wichtige Themen unter die Räder kämen. 

DOMRADIO.DE: Was erwarten Sie von der künftigen Bundesregierung bei diesem Thema? 

Anton Losinger

"Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Würde und das Lebensrecht der Menschen."

Losinger: Ich glaube, dass die künftige Bundesregierung einen dramatischen Berg von Aufgaben vor sich hat. Aber ich erwarte von ihr auch, dass sie angesichts der vielen Schwerpunkte, die sich ihr stellen, solche wichtigen Lebensrechtsfragen nicht links liegen lässt. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Würde und das Lebensrecht der Menschen. Es geht auch um den Kontext, dass medizinische diagnostische Verfahren dramatisch verbessert werden und damit die Überlebenschancen solcher Menschen in der Schwäche nicht mehr zur Geltung kommen.

Das Interview führte Ina Rottscheidt.

Welt-Down-Syndrom-Tag / Down-Syndrom

Der Welt-Down-Syndrom-Tag wurde erstmals 2006 am 21. März begangen, seit 2012 steht er offiziell im Kalender der Vereinten Nationen. Im Rahmen des UN-Aktionsplans für nachhaltige Entwicklung soll bis 2030 die Chancengleichheit in allen Lebensbereichen verwirklicht sein. Der 21. Tag im dritten Monat wurde ausgewählt mit Blick auf die Entstehung des Downsyndroms: Bei den Betroffenen ist das Chromosom 21 dreifach vorhanden und nicht wie üblich doppelt. Sie haben also in jeder Zelle ein Chromosom mehr als andere Menschen, nämlich 47 statt 46.

Junge mit Down-Syndrom (dpa)
Quelle:
DR

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