"Adeste fideles" – Domorganist Winfried Bönig zieht am Ende noch einmal alle Register. "Freut Euch, Ihr Christen… Kommt, lasset uns anbeten". Immer wieder hört man deutlich aus dem gewaltigen Orgelbrausen seiner Improvisation beim Postludium die einzelnen Motive dieses beliebten Kirchenliedes heraus. Und dass es braust, muss sein an einem Tag wie Weihnachten. Weil es dazu gehört. Und weil es eigentlich zum Schluss immer ein Fortissimo gibt. Daher auch diesmal. Wenigstens das. Spontan mitsingen möchte man, in den Jubel der Hirten in Bethlehem miteinstimmen. Irgendwie die Weihnachtsfreude in die Welt schmettern.
Aber das geht diesmal nicht. Alles bleibt merklich verhalten. Vielleicht sogar ein bisschen bedrückend wirkt die allgemeine Stimmung. Denn zum allerersten Mal findet ein Pontifikalamt mit Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki, das gerade am Hochfest der Geburt des Herrn immer besonders festlich gestaltet wird und zu dem in der Regel mehrere Tausend Besucher erwartet werden, ohne Gemeindegesang statt. Lediglich zwei Knaben des Kölner Domchores und Domkapellmeister Eberhard Metternich als Kantor übernehmen die musikalische Gestaltung und fungieren als Vorsänger. Angesichts der hohen Infektionszahlen sollen die 250 zugelassenen Gottesdienstteilnehmer, die – wie auch sonst in dem weitem Raum – etwas verloren wirken, geschützt werden. Niemand will schließlich riskieren, dass ausgerechnet von einer Weihnachtsmesse eine gesundheitliche Gefahr für die Menschen ausgeht. Dafür wurden in Pandemie-Zeiten alle erdenklichen Vorkehrungen getroffen und geltende Regeln zuletzt noch einmal zusätzlich verschärft.
Die vielen Dommessen sind bistumsweit etwas Besonderes
Angesichts der Tatsache, dass nach den intensiven Diskussionen der letzten Tage in einigen Kreisdekanaten des Erzbistums überhaupt keine Präsenzgottesdienste zu Weihnachten angeboten werden, mancher Pastor kurzerhand den Gottesdienst ins Internet verlagert hat, um das Fest liturgisch nicht ganz ausfallen lassen zu müssen, sind die vielen Dommessen rund um die Feiertage ohnehin schon etwas ganz Besonderes. Und auch schnell ausgebucht gewesen. Familie Yvonne und Patrick Rösinger mit ihren drei Kindern zwischen sechs und neun Jahren aus Rösrath sind unter den Glücklichen. Sie registrieren jedenfalls dankbar, dass sie von ihrer liebgewordenen Tradition, am ersten Weihnachtstag immer mit dem Erzbischof im Kölner Dom Messe zu feiern, nicht abrücken mussten.
Für sie ist "absolut wichtig", dass Gottesdienste trotz Lockdowns stattfinden. Sie mögen die außergewöhnliche Atmosphäre des Domes zur Weihnachtszeit und hören Kardinal Woelki gerne predigen. An diesem Morgen sitzen sie in der ersten Reihe, so dass die Kinder freie Sicht auf den Altarraum haben. Dafür haben sie sich aus dem Bergischen eigens früh aufgemacht und werden später damit belohnt, dass der Erzbischof beim Auszug einen Moment Halt bei ihnen macht und sich Zeit für einen persönlichen Weihnachtsgruß nimmt.
Gebet für die Kranken und Einsamen
Auch Anne Schmitz – zwei Reihen hinter den Rösingers – feiert Weihnachten am liebsten im Dom. "Die Kerzen, der Blumenschmuck – einfach herrlich! Noch schöner als sonst", schwärmt die 73-Jährige aus der Kölner Südstadt und freut sich über die leuchtenden Tannenbäume, aber auch die ungewohnte Krippe vor dem Ambo. "Ich bin dankbar, überhaupt live einen Weihnachtsgottesdienst feiern zu können. Wir brauchen das doch für die Seele, für unser geistliches Leben", beteuert sie. "Und dann ist der Dom doch auch das Herz von Köln!"
Auf die ungewöhnlichen Umstände, die atmosphärisch durchaus mitschwingen, geht auch Erzbischof Woelki gleich zu Beginn des Gottesdienstes ein. "Gott ist in alle Finsternisse und Dunkelheiten unserer Welt gekommen, um Licht zu bringen", betont er in seiner Begrüßung. "Das ist die große Hoffnung und das Vertrauen, das wir durch die Menschwerdung Gottes an diesem Morgen haben dürfen." Konkret spricht der Kardinal den sexuellen Missbrauch an, die Pandemie und die Einsamkeit so vieler Menschen, in der sie sich mit einem Mal ihrer Gebrechlichkeit, Begrenztheit und Sterblichkeit bewusst geworden wären. Eine Einsamkeit, die über viele Jahre und Jahrzehnte verdrängt worden sei und wofür es lange keinen Platz in der Gesellschaft gegeben habe.
"In diesem Gottesdienst beten wir daher für alle, die von Krankheit und Einsamkeit bedroht sind, und wir denken an diejenigen, die bei der Polizei und Feuerwehr sowie in den Krankenhäusern und Altenheimen ihren Dienst tun, damit andere leben können", sagt Woelki und bezeichnet diesen Einsatz als "Dienst an der Lebenshingabe, an dem Leben schaffenden Gott".
Woelki: Gott wartet auf die Entscheidung jedes Einzelnen
Auch in seiner Predigt forderte der Erzbischof zu gegenseitiger Hilfsbereitschaft auf. Das Kind in der Krippe lade dazu ein, auf den Nächsten zuzugehen, bitte aber auch selbst um Aufnahme "in der großen Familie der ganzen Menschheit". An Weihnachten, so Woelki, gehe es ums Ganze: um die ganze Menschheit. "Unser ganzes Leben soll durch die Menschwerdung Gottes verwandelt werden. Der ganzen Menschheit ist dieses Glück zugedacht. Durch das Christuskind in ihrer Mitte sollen alle Menschen zu einer Familie vereint werden." Je mehr sich jeder als Angehöriger dieser Familie verstehe und als solcher lebe, "umso mehr wird es Weihnachten in uns und in der Welt".
Gott habe seinen einzigen Sohn hingegeben, um die Welt zu retten, "damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern das ewige Leben hat". Gott aber warte auf die Entscheidung jedes Einzelnen, fährt Woelki fort. "Er, der sich vorbehaltlos für uns entschieden hat, wartet auf unsere Entscheidung für ihn. Er, der uns in das innerste Leben Gottes hineinnehmen will, wartet darauf, dass wir ihn aufnehmen." Das sei die Botschaft von Weihnachten. Wer sich Gott glaubend anvertraue, empfange nicht nur diese oder jene Gabe, sondern werde aus Gott geboren und empfange als Höhepunkt aller Gnadenfülle die Gabe des Heiligen Geistes.
Der Heilige Geist die eigentliche Weihnachtsüberraschung
"Wie der Heilige Geist die innerste Lebenskraft des neugeborenen Heilands der Welt ist, so will er die innerste Lebenskraft aller seiner Schwestern und Brüder sein und zugleich die innerste Lebenskraft der einen Familie der Menschheit. Er ist das Band, das alle zusammenhalten kann und zusammenhalten will", erklärt der Erzbischof wörtlich. "Er ist die Kraft, die unsere Isolation überwindet, die uns zu einer solidarischen Gemeinschaft werden lässt. Er will die Seele der christlichen Gemeinschaft sein, ihr zuinnerst verbunden und verpflichtet. Er ist die eigentliche Weihnachtsüberraschung, die sich das Kind in der Krippe für uns ausgedacht hat." Und vermöge, aus den Trümmern unseres Lebens ein Haus zu bilden, in dem der dreieinige Gott wohne.
Beatrice Tomasetti (DR)
Der erste Weihnachtsfeiertag
DOMRADIO.DE übertrug am Hochfest der Geburt des Herrn das Pontifikalamt aus dem Kölner Dom mit Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki. Es sangen Knaben des Kölner Domchores. Kantor war Eberhard Metternich. An der Orgel: Winfried Bönig.
EIN BLICK ZURÜCK ...
... DEN BLICK NACH VORN
Weihnachten muss sein
Mit Engeln und Hirten
zwischen Ochs und Esel
ganz nah an der Krippe
Nicht Kinderglaube …
Glaube an das Kind
mit dem Gott
noch einmal alles auf Anfang stellt
Keine Romantik …
Wort von Gott ist es
Licht und Leben der Menschen
– dennoch nicht willkommen
Aber Hoffnung …
Aus seiner Fülle empfangen wir
noch immer Gnade über Gnade auch heute –
für eine ganze Welt
Charis Doepgen OSB
Aus: TeDeum – Das Stundengebet im Alltag, Dezember 2020, www.tedeum-beten.de