Wo hängen die ältesten Glocken Deutschlands?

Schätze aus Bronze und Eisenblech

Eine "kleine" Sensation war es, als Anfang der Woche die älteste Glocke Baden-Württembergs auf fast 1.000 Jahre datiert wurde. Was macht das so besonders? Wie datiert man Glocken? Und wo hängen die ältesten Glocken Deutschlands?

Silberglocken des Augsburger Domes (KNA)
Silberglocken des Augsburger Domes / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie sensationell ist denn dieser Fund, von dem da berichtet wird?

Jan Hendrik Stens / © Nicolas Ottersbach (DR)
Jan Hendrik Stens / © Nicolas Ottersbach ( DR )

Jan Hendrik Stens (DOMRADIO.DE-Redakteur und Vorsitzender des Deutschen Glockenmuseums e.V.): Als ich in der Agenturmeldung las, dass die Glocke eineinhalb Meter hoch sein soll, dachte ich an eine große Sensation. Denn damit wäre sie ähnlich alt und sogar noch größer als die Lullusglocke in der Stiftsruine von Bad Hersfeld. Da sprechen wir von der ältesten datierbaren Glocke Deutschlands aus dem Jahr 1038 mit einem Durchmesser von 112 Zentimetern.

Beim hier geschilderten Fund wurden allerdings Millimeter mit Zentimetern verwechselt. Die älteste Glocke Baden-Württembergs ist also 12,5 Zentimeter breit und über 15 Zentimeter hoch. Also keine Riesensensation, aber dennoch eine kleine und sehr erfreuliche!

DOMRADIO.DE: Wie kann man das Alter einer solchen Glocke herausfinden?

Stens: Im günstigsten Fall steht das Gussjahr in der Inschrift. Das ist jedoch bei den ganz frühen Glocken nicht der Fall, weshalb im Vergleich mit anderen Exemplaren, aber auch anhand von Spuren der Herstellungstechnik und dem historischen Kontext des Fundortes meist ein ungefährer Zeitraum der Entstehung genannt wird. Da kann man sich auch mal kräftig verschätzen oder es tun sich nach Jahrzehnten neue Erkenntnisse auf.

In diesem Fall war auch das Alter der Glocke nach den Ausgrabungen vor 25 Jahren falsch eingeschätzt worden. Kurt Kramer, ehemaliger Glockeninspektor der Erzdiözese Freiburg, war im Zuge von Recherchen in einem Fundbericht auf das Exemplar gestoßen. Zusammen mit Archäologen und Restaurierungsspezialisten wurde unter anderem eine Materialanalyse erstellt, die dann zum jetzigen Ergebnis geführt hat. Die Glocke ist wahrscheinlich in der Mitte des 11. Jahrhunderts im Kloster Reichenau gefertigt und in einer Kapelle am Dorfrand von Gailingen aufgehängt worden.

DOMRADIO.DE: Wo hängen die ältesten Glocken in Deutschland?

Stens: Sprechen wir erst einmal von gegossenen Glocken: Eben nannte ich bereits die Bad Hersfelder Lullusglocke. Das ist die älteste datierbare Glocke Deutschlands. Die älteste bekannte und vollständig erhaltene Läuteglocke nördlich der Alpen stammt aus dem Hafen von Haithabu in Schleswig-Holstein und wurde 1978 bei Ausgrabungen entdeckt. Haithabu war eine Wikingergründung des 8. Jahrhunderts, die allerdings nach 300 Jahren vollständig zerstört wurde. Aber die Glocke ist erhalten und wird etwa in das Jahr 950 datiert, ist also noch einmal 100 Jahre älter als die jetzt älteste von Baden-Württemberg.

Es gibt aber noch einige sehr alte Glocken in Deutschland. Zu nennen sind hier zum Beispiel die beiden Silberglocken im Augsburger Dom, die um 1070 gegossen worden sind. Zusammen mit zwei Kollegen habe ich vor zwei Jahren für das Zeit-magazin eine Liste der ältesten Glocken Deutschlands zusammengestellt. Trotz der großen Verluste, die vor allem die letzten großen Kriege mit sich gebracht haben, sind wir auf Anhieb auf knapp 400 Glocken gekommen, die vor 1311, dem Gussjahr der Bamberger Heinrichsglocke, gegossen worden sind. Inzwischen sind es aber noch mehr geworden.

DOMRADIO.DE: Gibt es denn noch Glocken, die anders gefertigt worden sind?

Saufang im Museum Schnütgen / © Jan Hendrik Stens (DR)
Saufang im Museum Schnütgen / © Jan Hendrik Stens ( DR )

Stens: Es gab im frühen Mittelalter Glocken, die aus Eisenblechen zusammengeschmiedet worden sind. Diese brachten die iro-schottischen Mönche mit auf den europäischen Kontinent, als sie in unseren Breiten auf Missionsreise tätig waren. Ein solches Exemplar ist hier in Köln erhalten. Es ist der Saufang, der im Museum Schnütgen aufbewahrt wird und aus dem achten oder neunten Jahrhundert stammt. Über viele Jahrhunderte hing diese Glocke in der Stiftskirche St. Cäcilien, in der sich heute das Museum befindet. Klanglich sind diese Glocken allerdings eher Signalgeber als Musikinstrumente. Das heißt, sie haben keinen harmonischen Klang, sondern klingen eher wie ein Kochtopf.

DOMRADIO.DE: Wo hängen hier im Kölner Raum die ältesten Glocken auf den Kirchtürmen?

Stens: Dazu müssen wir die Stadt verlassen, denn durch Kriege, Brände und Modernisierungsmaßnahmen ist viel Altbestand verloren gegangen. Zu den ältesten noch in vollständigem Betrieb befindlichen Glocken zählen die in St. Pankratius in Odenthal unweit des Altenberger Domes und in St. Laurentius in Mintard unterhalb der Ruhrtalbrücke zwischen Düsseldorf und Essen. Beide Glocken stammen aus dem 12. Jahrhundert. Beides übrigens Kirchen, die zum Erzbistum Köln gehören!

Dann gibt es aber noch weitere sehr alte Glocken im Bergischen: Eine aus dem 12. Jahrhundert in Müllenbach, einem Ort zwischen Gummersbach und Marienheide, die kleine Dachreiterglocke in St. Martinus in Much in der Nähe von Overath, die um 1200 gegossen worden ist. Es lohnt sich also, mal auf den heimischen Kirchturm zu steigen und dort nachzuschauen, was da an alten Schätzen möglicherweise hängt.

Das Interview führte Heike Sicconi.

Der Guss einer Glocke

Glocken werden meist durch Gießen in einer Form hergestellt. Zum Guss wird die Grube, in der die Glockenformen stehen, komplett mit Erde verfüllt und diese ordentlich verdichtet, damit die Form den beim Gießen entstehenden Druck aushalten kann.

(wikipedia)

Glocke im Lehmmantel (dpa)
Glocke im Lehmmantel / ( dpa )
Quelle:
DR
Mehr zum Thema