DOMRADIO.DE: Kardinal Marx hat den Synodalen Weg in der deutschen Kirche auf den Weg gebracht. Am Dienstag nun die Ankündigung seines Rückzugs als Vorsitzender der Bischofskonferenz. Überrascht Sie das?
Matthias Drobinski (Journalist bei der Süddeutschen Zeitung): Ja, ich finde den Zeitpunkt überraschend. In Frankfurt auf der Synodalversammlung deutete eigentlich nichts darauf hin, dass er jetzt so schnell sagen würde, dass er nicht mehr zu einer zweiten Amtszeit antritt.
Allerdings ist mir schon aufgefallen seit ungefähr einem Jahr, dass da immer wieder mal, wenn die Kameras und die Mikrofone aus waren, eine gewisse Müdigkeit zu spüren war. Ich hatte das Gefühl, dass er sich gefragt hat: Warum mache ich das? Wo soll das alles hingehen?
DOMRADIO.DE: Kardinal Marx hat die Kirche durch die Erschütterungen des Missbrauchsskandals hindurch geführt. Nun soll der Synodale Weg neues Vertrauen in die Kirche bringen. Verlässt der Kapitän jetzt verfrüht die Brücke?
Drobinski: Ich hätte mir gewünscht, dass er diesen Weg noch ein bisschen weiter verfestigt. Ich fand den Anfang in Frankfurt sehr spannend, auch mit den sehr offenen Diskussionen zwischen Konservativen und Reformern, z.B. zwischen Kardinal Woelki und Bischof Voderholzer und den vorwärts drängenden Frauen. Ich glaube, da war sehr viel Dampf und sehr viel Leben drin.
Es ist deshalb wichtig, dass da vorne einer ist, der sagt: "Ich stehe für diesen Weg." Dafür stand Kardinal Marx. Und das ist jetzt sicher auch eine Schwächung dieses Weges. Es wird natürlich darauf ankommen, wen die Bischöfe zu seinem Nachfolger wählen. Ich vermute mal, dass es auch jemand sein wird, der hinter diesem Weg steht, der ja von einer großen Mehrheit der Bischöfe auf den Weg gebracht wurde. Aber erst einmal muss sich das doch etwas neu sortieren.
DOMRADIO.DE: Als Vorsitzender der Bischofskonferenz hat Kardinal Marx durchaus auch scharfe Kritik erfahren. Können solche Angriffe bei seinem Rückzug denn vielleicht auch eine Rolle gespielt haben?
Drobinski: Man hat schon gemerkt, dass in der Bischofskonferenz die Einigkeit nicht da war. Es war da eher eine Minderheit von Bischöfen, die da immer wieder betonten, sie seien mit diesen Weg nicht einverstanden. Diese Minderheit allerdings suchte doch immer wieder Unterstützung aus Rom. Und von Rom kamen sehr erratische Signale. Die lauteten eben nicht eindeutig "Stopp" oder "Weiter so". Es war sehr widersprüchlich.
Zum Beispiel beim Synodalen Weg: Da gab es den Brief von Papst Franziskus, wo er schreibt, die deutschen Katholiken sollten mutig vorangehen. Aber sie sollten auch aufpassen, den Boden der gesicherten katholischen Lehre nicht zu verlassen. Das ist so eine Art Doppelgebot gewesen, wo jede Seite etwas herauslesen konnte. Die einen sahen eine Warnung, die anderen eine Ermunterung. Auf der einen Seite hieß es: "Wir müssen auf die Weltkirche hören. Wir müssen schauen, dass wir bei Frauen, beim Zölibat, bei der Sexualmoral nichts sagen und nichts beschließen, auch nicht als Votum oder mögliche Meinung irgendwie vertreten, was gegen die Weltkirche gehen könnte." Die anderen sagten: "Moment mal, der Papst hat uns doch ermutigt, hier tapfer voranzugehen und neue Wege zu wagen.".
In diesem Sinne war auch dieses Doppelbödige, was aus Rom kam, für Marx nicht hilfreich. Er hatte wohl eher das Gefühl, nie zu wissen, wo Rom steht. Auf seiner Seite oder der der Kritiker. Dann gab es noch das Schreiben aus Rom, in dem eine frühe Version der Satzung des Synodalen Weges kritisiert wurde. Es gab wieder Streit und eine neue Version. Das war so ein Kleinkrieg und das hat schon viel Kraft gekostet.
DOMRADIO.DE: Wird der Rückzug seine Stellung in Rom irgendwie beeinflussen? Was glauben Sie?
Drobinski: Ich glaube, dass in Rom ein Bischofskonferenzvorsitzender nicht so viel wert ist. Da zählt ein Kardinal stärker. Da zählt stärker die Frage, wer den Papst berät. Da ist Kardinal Marx im Kardinalsrat einer von neun Kardinälen. Es gibt andere, die näher am Papst sind, ihn auch länger kennen. Ich glaube aber, Franziskus hat einen großen Respekt vor Kardinal Marx, vor seiner Verwaltungserfahrung. Das war auch der Grund, weshalb er da hinein gewählt wurde. Das wird alles, glaube ich, bleiben. Das gefällt ihm auch, da den Papst beraten zu können. Das waren für ihn immer wichtige Termine.
Bischofskonferenzvorsitzende sind in Deutschland sehr wichtig, weil wir doch stärker eine Struktur haben, die von der Kollegialität der Bischöfe ausgeht. Aus der Sicht von Rom ist der Bischofskonferenzvorsitzende so eine Art besserer Klassensprecher, also jemand, der für die versammelten Bischöfe spricht. Aber kirchenrechtlich ist völlig klar: Jeder Bischof macht in seinem Bistum oder Erzbistum das, was er umsetzen möchte, was er machen möchte. Er ist erstmal der klare Herr und dem Papst verantwortlich und nicht dem Bischofskonferenzvorsitzenden. Der kann zwar Beschlüsse erwirken, die Bischofskonferenz kann Beschlüsse fassen, aber die sind immer nur begrenzt bindend.
Das Interview führte Michelle Olion.