DOMRADIO.DE: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an die Menschen denken, die da jetzt an der Grenze festsitzen?
Bischof Wolfgang Ipolt (Bistum Görlitz): Es ist kaum vorstellbar, dass im 21. Jahrhundert so etwas geschieht. Ich sehe natürlich, wie jeder sicher auch jeden Abend die Bilder dieser Menschen, jungen Kinder, Erwachsenen, älteren Menschen ansieht, die ja ganz verunsichert sind, weil sie nicht wissen, was mit ihnen geschieht.
Das geht mir immer durch den Kopf. Es ist ja eine politisch schwer lösbare Situation, die da manövriert werden müsste. Da muss ich schon sagen, da ist jetzt die Europäische Union - natürlich zuerst diese beiden Länder - aufgerufen, diesen Menschen zu helfen. Ich sehe natürlich, dass da auch die Grundsätze der Humanität jetzt nicht mehr beachtet werden.
Daher hat es mich sehr gefreut, dass die jetzt noch geschäftsführende Bundeskanzlerin Merkel schon mehrere Male mit dem Präsidenten von Belarus telefoniert hat, um dort auch miteinander um eine gute Lösung ganz besonders für die, die jetzt dort an der Grenze sind, zu ringen.
DOMRADIO.DE: Sie haben vergangene Woche an einem Dialogforum teilgenommen, bei dem sich Christen aus dem Dreiländereck Deutschland, Tschechien und Polen getroffen haben. Was haben denn Ihnen Ihre Amtsbrüder aus Polen berichtet?
Bischof Ipolt: Es gab ja noch vor einigen Tagen die Meinung, Polen würde gar nichts unternehmen. Ich war sehr froh, dass der Bischof von Liegnitz, Andrzej Siemieniewski, bei dieser trinationalen Tagung anwesend war und dass wir auf diese Weise aus erster Hand etwas erfahren haben.
Die Polnische Bischofskonferenz hat einen Beauftragten für diese Situation an der belarussisch-polnischen Grenze ernannt und hat für Sonntag, also am Christkönigsonntag, für ganz Polen eine Kollekte angesetzt. Denn auch für diese Situation wird ja Geld benötigt.
Man will natürlich vor allen Dingen jetzt den Leuten direkt helfen mit Decken, Kleidung und so weiter, wahrscheinlich auch mit Medikamenten. Das war erst mal schon sehr wichtig, dass wir gehört haben, dass sich zumindest die Kirche Polens darum sorgt und jetzt auch konkret etwas tut.
Ich habe dann dort spontan gesagt, weil wir ja unmittelbare Nachbarn sind, da würden wir uns auch beteiligen und das wollen wir auch gerne tun.
DOMRADIO.DE: Polen versucht, illegale Grenzübertritte zu verhindern. Aber ist das Land denn nicht eigentlich auch verpflichtet, den Menschen Asyl zu gewähren?
Bischof Ipolt: Das ist ja genau diese schwer lösbare Situation. Wir sagen natürlich, dass auch bei uns nicht alle bleiben können, aber es muss wenigstens ein geordnetes Asylverfahren geben und man darf dabei nicht die europäischen Grundwerte verletzen. Das ist wahrscheinlich die Situation, die ich aus der Ferne nicht so ganz gut einschätzen kann.
Aber da muss jetzt vielleicht durch die Hilfsorganisationen und durch unser kirchliches Engagement wenigstens gezeigt werden, dass wir zunächst für die schutzsuchenden Menschen da sein wollen, ohne jetzt die politische Frage lösen zu können. Die wird natürlich bleiben und das ist jetzt doch sehr deutlich auch ins Bewusstsein der politisch Verantwortlichen gedrungen.
DOMRADIO.DE: Wir hören, dass polnische Beamte auch mit Gewalt und Tränengas gegen die Flüchtenden vorgehen und versuchen, sie zurückzudrängen. Positioniert sich denn die polnische Kirche eindeutig dazu?
Bischof Ipolt: Darüber bin ich jetzt noch nicht informiert.
DOMRADIO.DE: Was würden Sie sich denn von der EU und der Bundesregierung für diese Situation wünschen?
Bischof Ipolt: Es muss auf jeden Fall ein Thema im Europäischen Parlament werden. Das würde ich mir wünschen, dass dort eine gemeinsame Lösung aller Länder der EU herbeigeführt wird. Das kann natürlich nicht Polen alleine, aber ich habe schon auch den Eindruck, dass sie schon bereit wären.
Aber sie wollen natürlich eine gemeinsame Lösung, was ich auch verstehen kann. Einzelne haben ja auch die Grenze durchbrochen und sind auch schon bei uns angekommen. Wir haben in unserem Bistum in Eisenhüttenstadt eine Erstaufnahmeeinrichtung, die jetzt schon auch wieder überfüllt ist.
Da merkt man, dass die Leute, die dort an der Grenze sind, natürlich eher nach Deutschland als nach Polen drängen. Also ich glaube, hier muss es wirklich eine konzertierte Aktion, eine gemeinsame europäische Politik in dieser Frage geben.
Das Interview führte Dagmar Peters.