Wladimir Putin lässt ganze Städte in der Ukraine in Schutt und Asche legen. Nicht nur Kinder stellen die naiv wirkende Frage: Wer kann dagegen etwas tun? Es gibt nur wenige moralischen Autoritäten dieser Kategorie. Nelson Mandela, Mutter Teresa, Martin Luther King, Mahatma Gandhi, Kofi Annan, Desmond Tutu - alle tot.
Die Queen, Dalai Lama oder Greta Thunberg
Aber auch unter den Lebenden scheint kaum einer geeignet. Da ist Queen Elizabeth II. (95), seit 70 Jahren unverwüstlich unter der Last der Krone. Als 16-faches Staatsoberhaupt des Commonwealth of Nations hat sie geografischen und historischen Weitblick - aber auch von klein auf die Lektion verinnerlicht, dass sie als Monarchin keine politische Rolle mehr zu spielen hat. Zudem steht das Vereinigte Königreich im gegenwärtigen Krieg klar auf der Seite der Ukraine.
Und was ist mit dem 14. Dalai Lama (86), religiöses Oberhaupt der Tibeter und Reinkarnation des Gottes des Mitgefühls? Ein guter Kandidat - zumal er spätestens seit der chinesischen Besetzung Tibets 1950 aller weltlichen Macht entkleidet ist. Seit Jahrzehnten wirbt der Dalai Lama für Frieden und Völkerverständigung - und hat sich dabei abgenutzt. Kritiker bemängeln, er kaschiere mit seinem Charme ein rückwärtsgewandtes Gesellschaftsmodell für Tibet.
Bleiben der UNO-Generalsekretär und seine Vorgänger, von denen einige durchaus das Format hatten. Doch Antonio Guterres (72), der aktuelle Amtsträger, dringt derzeit kaum durch. Zudem werden die obersten Repräsentanten der internationalen Gemeinschaft nach Proporz bestimmt - und können den Mächtigen nie allzu sehr auf die Füße treten.
Das hingegen tun Greta Thunberg (19) und ihre "Fridays for Future"-Leute. Ihre Umwelt-Botschaften sind glashart und unbequem ("How dare you?") - aber für Krieg und Frieden sind sie (bislang) nicht zuständig.
Und Emmanuel Macron (43) in Frankreich? Auch er hat sich trotz vergleichsweise jugendlichem Alter einiges an internationalem Format erworben. Angesichts des russischen Krieges hat er zuhause die Präsidentenwahl im Mai schon quasi gewonnen. Zum Weltgewissen fehlt allerdings immer noch die moralische Flughöhe.
Die Rolle der Medien
Die Mediengesellschaft spielt bei der Suche nach der "Stimme des Weltgewissens" eine wichtige Rolle: Wie muss jemand beschaffen sein, der weltweit für moralische Standards einsteht, um nicht irgendwann von der Journalistenzunft "runtergeschrieben" zu werden?
Deutsche liefern gute Kandidaten, seit sie keine Weltkriege mehr entfachen. Eine davon ist Angela Merkel, Kanzlerin der Flüchtlingskrise. Sie schien - auch Trump sei Dank - jahrelang über allen noch so bewegten Wassern zu schweben. Doch ist es um sie seit ihrem Rücktritt so dröhnend still geworden wie noch um keinen Altkanzler zuvor.
Auch ehemalige US-Präsidenten eignen sich in der Theorie. Barack Obama (60), Al Gore (73) und Jimmy Carter (97) - sie erheben, jeder auf seine Weise, ihre Stimme gegen Hinrichtungen, Konflikte, Rassismus, Umweltzerstörung. Die Philantropen wie Bill Gates (66) und die engagierten Stars des Show-Biz: Bob Geldof (70), Bono (61), Emma Watson (31), Wolfgang Niedecken (70). Sie tun was, organisieren weltweite Benefiz-Konzerte, bringen Abermillionen auf und sich ein.
Doch am Ende sind sie Unterhaltungskünstler.
Kann der Papst vermitteln?
Und dann gibt's da noch einen: den obersten Brückenbauer, Bischof von Rom, Oberhaupt von 1,3 Milliarden Katholiken weltweit. Trotz dunkler Kapitel in einer Kirchengeschichte von 2.000 Jahren mit Religionskriegen und Kreuzzügen ist der Mann in Weiß eine moralische Autorität. Und das seit mehr als 100 Jahren - seit Benedikt XV. vergeblich versuchte, den Ersten Weltkrieg mit Mitteln der Geheimdiplomatie zu beenden. Mit den Konzilspäpsten Johannes XXIII. und Paul VI., mit dem Kommunistenbezwinger Johannes Paul II. haben sie die Weltgeschichte im Kalten Krieg und danach entscheidend mitgeprägt.
Der aktuelle Papst Franziskus (85) ist "Bruder der Armen", Umweltapostel, Moralprediger der Kurie, Brecheisen alter Strukturen und Verhaltensweisen, weltweit bejubelter Hoffnungsträger und Ärgernis zugleich. Mit Putins geistlichem Übervater, dem russischen Patriarchen Kyrill, hat er mehrfach gesprochen. Er kennt Putin und Wolodymyr Selenskij von Begegnungen im Vatikan. Spräche er jetzt mit den beiden, dann würde er wohl zumindest angehört. Zumindest das.