Prag erinnert an von Nazis zerstörte Glocken

Eine Glocke für den Frieden

Prag hat ein neues Mahnmal zur Erinnerung an die 9.801 Glocken, die im Zweiten Weltkrieg in Böhmen und Mähren von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und zu Waffen umgeschmolzen wurden, eine Glocke. Sie hat einen sehr tiefen Ton.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
Altstädter Platz in Prag / © Catarina Belova (shutterstock)
Altstädter Platz in Prag / © Catarina Belova ( shutterstock )
Tomas Halik / © Cristian Gennari (KNA)
Tomas Halik / © Cristian Gennari ( KNA )

Die Gedenkglocke wiegt deshalb genau 9.801 Kilogramm, wie Radio Prag berichtete. "Die Stimme dieser Glocke ist ein Symbol des Gebets um Frieden und Freiheit", sagte der katholische Priester und Soziologe Tomas Halik bei der Glockensegnung am Sonntagabend auf dem Prager Smetana-Kai.

Die in der Gießerei Grassmayr in Innsbruck gefertigte Glocke ist 1,87 Meter hoch; der untere Durchmesser beträgt 2,58 Meter, der Klöppel wiegt etwa 300 Kilo. Das Projekt "#9801" wurde vor einem Jahr vom Verein Sanctus Castulus als Spendenaktion initiiert.

Besonders tiefer Ton

Die Gedenkglocke schlägt mit dem besonders tiefen Ton f/0. Die Inschrift "Pax in terra" (Friede auf Erden) wurde mit Blick auf den Krieg in der Ukraine gewählt. "Das Wichtige ist, dass dieser Klang rund um den Erdball schwingen und für Frieden und Freiheit läuten soll", so Glockengießer Peter Grassmayr. "Das ist das Allerwichtigste - vor allem, wenn man sieht, wie tragisch es in der Ukraine ist."

Die neu enthüllte Glocke wird bis Ende September am Smetana-Kai ausgestellt, wo vor 80 Jahren die Glocken nach Deutschland verfrachtet wurden. Laut Plänen des Magistrats soll sie 2024 auf einer schwimmenden Moldau-Insel nahe der berühmten Karlsbrücke montiert werden und zu besonderen Anlässen erklingen. Geplant ist demnach auch ein Konzert anlässlich der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft am Freitag (2. September).

Große Schäden im Krieg

Im Zweiten Weltkrieg seien 90 Prozent der Glocken aus den Kirchen- und Rathaustürmen verschwunden, so der Verein Sanctus Castulus. Die Requirierungsverordnung wurde am 26. November 1941 veröffentlicht, die Glocken im Sommer 1942 zusammengetragen und nach Deutschland verschifft.

Die Glocke solle "ein Memento dieses kulturellen Verlusts" darstellen. "Tausende verstummte Stimmen werden durch eine lebendige und kräftige Glockenstimme ersetzt", so die Initiatoren. "Glocken sind seit dem frühen Mittelalter bis zur heutigen Zeit ein Teil unserer Kultur. Glocken haben nicht nur Signalfunktion, sondern spielen auch eine gesellschaftliche Rolle", erklärte der Verein. Die Kriegsrequirierungen bedeuteten daher nicht nur eine Zerstörung der Glocken, sondern auch der Gesellschaft und der zwischenmenschlichen Bande.

Gegen den Hass

Das Projekt "#9801" solle zeigen, "dass wir trotz allem Hass und Ärger auf Sozialen Netzwerken noch immer miteinander sprechen und wirken können. Wir haben vor, ein Stück des virtuellen Geschützfeuers zu einem schönen Instrument umzuschmelzen, das Menschen verbindet."

Auch wolle der Verein an die "bewunderungswürdige" Wiederbeschaffung der eingeschmolzenen Glocken nach dem Ersten Weltkrieg erinnern. Nach dem Zweiten Weltkrieg hingegen seien kaum Glocken gegossen worden. "Der aufkommende Kommunismus begrüßte die zerrissenen gesellschaftlichen Bande", so die Initiatoren, zu denen Glockensachverständige, Medien-, Kunst- und Kulturschaffende gehören.

Kirche in Tschechien

In der Tschechischen Republik bekennt sich nur noch eine Minderheit der Bevölkerung zu einer Religionsgemeinschaft. 2018 bezeichnete sich laut Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Stem noch jeder vierte tschechische Bürger als gläubig, jeder dritte dagegen als Atheist. Zu den Gläubigen rechneten sich demnach häufiger Frauen, Personen über 45 Jahre sowie Bürger kleinerer Gemeinden.

Altstädter Ring in Prag / © dimbar76 (shutterstock)
Quelle:
KNA