US-Intellektueller West könnte Joe Biden 2024 Stimmen kosten

Gegen Wall Street, Demokraten und "endlose Kriege"

Als linker, aber christlich geprägter und NATO-kritischer Präsidentschaftskandidat will der bekannte US-Intellektuelle Cornel West gegen Joe Biden antreten. Das könnte den Amtsinhaber Stimmen kosten, vielleicht sogar entscheidende.

Cornel West bei einer Kundgebung des Stop Mass Incarceration Network in New York im Jahr 2015  / © a katz (shutterstock)
Cornel West bei einer Kundgebung des Stop Mass Incarceration Network in New York im Jahr 2015 / © a katz ( shutterstock )

Ein Philosoph möchte Präsident der USA werden. Die Rede ist vom 70-jährigen "Jazz-Mann in der Welt der Politik": So bezeichnet der stets formell gekleidete afroamerikanische Intellektuelle – dunkler Anzug, weißes Hemd, Krawatte – sich selbst.

Cornel West kandidiert von links gegen den demokratischen Präsidenten Joe Biden.

Dafür steht US-Präsidentenkandidat Cornel West

Am 5. Juni kündigte der 70-jährige links-progressive, christliche Intellektuelle Cornel West in einem Twitter-Video an, für die US-amerikanischen Grünen in das Rennen um die US-Präsidentschaft 2024 einzutreten. Dabei sei ihm die "Suche nach der Wahrheit" ein besonderes Anliegen. Denn laut West erzähle "keine der politischen Partei die Wahrheit über die Wall Street, die Ukraine, den Pentagon und Big Tech".

Cornel West bei einer Kundgebung des Stop Mass Incarceration Network in New York im Jahr 2015 / © a katz (shutterstock)
Cornel West bei einer Kundgebung des Stop Mass Incarceration Network in New York im Jahr 2015 / © a katz ( shutterstock )

Er war Professor an Elite-Universitäten und hat eine Professur an der New Yorker Hochschule Union Theological Seminary inne, die nach dem deutschen Theologen und NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) benannt ist.

West sieht Demokraten bei Wall Street

Alle vier Jahre kommt in der politischen Linken der USA die Hoffnung auf, ein Kandidat oder eine Kandidatin einer dritten Partei außerhalb der Republikanischen oder Demokratischen Partei werde die politische Diskussion verlagern und Menschen eine Stimme geben, die sich nicht repräsentiert fühlen.

Die Demokraten stünden der Wall Street zu nahe, kritisiert West. In seinem Ankündigungsvideo Anfang Juni versprach er, er trete gegen Armut und gegen die "endlosen Kriege" ein.

Im progressiven Amerika ist West, ein Künstler des gesprochenen Wortes, seit Jahrzehnten eine bekannte Figur. Er ist Buchautor, hält Ansprachen zu Rasse und Klasse, hat zahllose Auftritte in Talkshows und war Wahlhelfer seines "geliebten Bruders" Bernie Sanders 2016 und 2020.

West spricht gelegentlich mit Bibel-Worten

Damals trat der linksgerichtete Sanders in der Vorwahl der Demokraten um die Präsidentschaftskandidatur an. West redet Menschen ungeachtet von Hautfarbe und Politik als "Bruder" und "Schwester" an, spricht gelegentlich mit biblischen Worten von seiner Sorge um "die Geringsten unter ihnen".

Nach Lehrtätigkeiten an den Eliteunis Harvard, Yale und Princeton ist West 2021 zum Bonhoeffer-Professor ernannt worden.

Der deutsche Theologe Dietrich Bonhoeffer hatte 1930 bis 1931 ein Jahr an der New Yorker Hochschule verbracht. Die Lehre vom "sozialen Evangelium" und die schwarzen Kirchen haben den Lutheraner damals beeindruckt.

"Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist", sollte Bonhoeffer später formulieren. Bonhoeffer kehrte nach Deutschland zurück und riskierte sein Leben im Widerstand gegen Hitler. Im April 1945 wurde er im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet.

Dietrich Bonhoeffer - "Von guten Mächten"

"Von guten Mächten" war der letzte Text, den Dietrich Bonhoeffer vor seiner Ermordung durch die Nationalsozialisten noch schreiben konnte. Nach diesem Gedicht folgen um den Jahreswechsel 1944/45 noch zwei kurze Briefe an Angehörige, danach nichts mehr. Am 9. April 1945, einen Monat vor Kriegsende, wird Bonhoeffer im KZ Flossenbürg hingerichtet.

Dietrich Bonhoeffer (epd)
Dietrich Bonhoeffer / ( epd )

Selten erfolgreich und doch ausschlaggebend

Kandidaten dritter Parteien außerhalb der Republikaner und Demokraten haben es in den USA noch nie weit gebracht, können aber bei knappem Resultat das Wahlergebnis beeinflussen.

Am erfolgreichsten in der jüngsten Geschichte waren Ralph Nader (Grüne Partei) im Jahr 2000 mit 2,7 Prozent und Jill Stein (Grüne Partei) 2016 mit 1,1 Prozent.

Die Stimmen für sie könnten auf Kosten der Demokraten gegangen sein. Nader kam 2000 im entscheidenden Staat Florida auf knapp 100.000 Stimmen. Der Demokrat Al Gore unterlag damals gegen den Republikaner George W. Bush, mit 537 Stimmen weniger.

West wirft Demokraten Kriegstradition vor

Cornel West hat in zahlreichen Interviews seinen Kurs mit einer dritten Partei erläutert. Das Zweiparteiensystem blockiere politische Veränderungen, kritisiert er.

Die Demokratische Partei habe "eine lange Geschichte von Kriegen": Das gehe zurück auf den Vietnamkrieg. Während der schwersten Kampfhandlungen in Vietnam in den 1960er Jahren regierten demokratische Präsidenten die USA.

Probleme mit Ex-Präsident Barack Obama

Demokratische Politiker halten sich mit Kommentaren zu der Kandidatur Cornel Wests zurück. In der Partei erinnert man sich an dessen komplizierte Beziehung zu Barack Obama.

Nach anfänglichem Lob häufte West zunehmend Kritik auf den ersten schwarzen Präsidenten.

Der Zwist hatte vielleicht auch persönliche Gründe: Im Rundfunksender NPR klagte West 2010, dass Obama manche Kritiker ins Weiße Haus einlade, ihn aber behandele wie einen kleinen Jungen.

Antritt für die Grünen nach Abkehr von der Partei der Ex-Sanders-Anhänger

Zu Beginn seiner Kandidatur sagte West, er trete mit der "People's Party" an. Das ist eine winzige Partei, gegründet von ehemaligen Anhängern des demokratischen Politikers Bernie Sanders, die sich nicht damit abfinden konnten, dass Sanders Joe Biden unterstützt, auch bei der kommenden Wahl.

Mitte Juni änderte West seinen Kurs, weg von der "People's Party". Er bemühe sich nun um Nominierung in der Grünen Partei, verlautbarte er. Diese habe eine ausgeprägtere Infrastruktur.

Jill Stein, vormals grüne Präsidentschaftskandidatin, erklärte in Sender CNN, sie sei "Übergangkoordinatorin", um West beim Aufbau seiner Infrastruktur zu helfen, die er für eine Kandidatur brauche.

Der Vietnamkrieg

Im Vietnamkrieg kämpfte zwischen 1955 und 1975 der kommunistische Norden des Landes gegen den im späteren Kriegsverlauf von den USA unterstützten Süden. Zwischen 1964 und 1975 starben Millionen Vietnamesen und fast 60.000 US-Soldaten. Die USA wollten auf der Seite Südvietnams den Einfluss des kommunistischen Nordvietnams zurückdrängen. Nordvietnam konterte mit Guerilla-Angriffen und erbittertem Widerstand. Am meisten litt die Zivilbevölkerung. Der Kommunismus behielt zum Kriegsende die Überhand und brachte der USA die erste militärische Niederlage ihrer Geschichte ein.

Ordensschwester versorgt Verletzte im Vietnamkrieg / © N.N. (KNA)
Ordensschwester versorgt Verletzte im Vietnamkrieg / © N.N. ( KNA )
Quelle:
epd