DOMRADIO.DE: Welche Päpste waren denn so richtige Leseratten?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Buchautor): Im Verlauf der 2.000 Jahre Kirchengeschichte gab es immer wieder Päpste, die sich intensiv mit Literatur beschäftigten, auch natürlich, um ihr Amt besser ausüben zu können.
Ich denke, in der Antike waren es Persönlichkeiten wie Gregor der Große, die auch selber Literatur geschaffen haben. Und auch in der Neuzeit haben sich Päpste immer wieder literarisch betätigt.
DOMRADIO.DE: Für welche Autoren oder Autorinnen konnten sich die Päpste begeistern?
Nersinger: Von der Frühzeit bis in die Moderne begeisterten sich die Päpste immer wieder für die klassischen Texte der Antike. Wir wissen zum Beispiel von Papst Leo XIII., der von 1878 bis 1903 regierte.
Das war ein ausgesprochener Freund der antiken Literatur. Wenn er zum Beispiel durch die Vatikanischen Gärten geführt wurde, hatte er immer eine Ausgabe eines antiken Autoren dabei, von Horaz, von Ovid, von Cicero. Das war seine Lieblingslektüre.
DOMRADIO.DE: Gab es denn auch mal den Fall, dass Päpste Bücher gelesen haben, die man ihnen eigentlich nicht zugetraut hätte?
Nersinger: Ja, ich denke da zum Beispiel an Papst Pius II., der Enea Piccolomini mit bürgerlichem Namen hieß. Er lebte im 15. Jahrhundert und schuf selbst viel Literatur. Er ist einer der wichtigsten Dichter der Renaissance.
Das führte auch zu Problemen: Man hat ihm vorgeworfen, viel erotische Literatur zu lesen. Mehr noch: Bevor er zum Pontifex wurde, hatte er sogar selbst erotische Texte verfasst.
DOMRADIO.DE: Tatsächlich?
Nersinger: Dazu gibt es eine hübsche Geschichte. Einen der damaligen Kardinäle, den berühmten Rodrigo Borgia, hat er wegen seines Lebenswandels ermahnt.
Rodrigo Borgia, der 1492 als Alexander VI. selber Papst wurde, war aber ziemlich schlagfertig. Er antwortete an Pius, dass diese Ermahnungen offenbar von einem Fachmann kämen …
DOMRADIO.DE: Welche Verbindungen zwischen einem Papst und einem Autor oder einer Autorin sind bekannt?
Nersinger: Pius XII. (Papst von 1939 bis 1958) dürfte das Werk von Franz Werfel sehr gut gelesen haben. Sein berühmtes Werk "Der veruntreute Himmel" wurde verfilmt. Dabei kam es zu einer außergewöhnlichen Besonderheit.
Die Produzenten des Films baten den Papst um die Erlaubnis, für eine der wichtigsten Szenen Originalaufnahmen aus dem Vatikan zu verwenden. Pius XII. hat direkt die Erlaubnis erteilt.
Für die damalige Zeit war eine solche Erlaubnis außergewöhnlich und zeugte von einer großen päpstlichen Wertschätzung für das Werk Werfels.
DOMRADIO.DE: Wir wissen, Päpste verfassen Enzykliken und Hirtenbriefe. Gab es auch Päpste, die auch andersartige Texte verfassten?
Nersinger: Pius XI. (Papst von 1922 bis 1939) war vor seiner Wahl zum Papst ein überaus bekannter Alpinist, der sogar Erstbesteigungen von Gipfeln unternommen hatte. Von ihm stammen eine ganze Reihe von alpinistischen Schriften, die eine recht hohe Auflage erreichten.
Dieser Papst sagte später einmal, er habe den Eindruck, dass man seine alpinistischen Schriften viel mehr gelesen habe als seine Enzykliken.
DOMRADIO.DE: Gab es denn auch Päpste, die Literaturpreise verliehen bekommen haben? Einige konnten ja ein großes Werk vorweisen.
Nersinger: Theoretisch wäre das natürlich denkbar, denn gerade in der jüngeren Zeit haben verschiedene Päpste umfangreiche Theaterliteratur und auch Poesie produziert.
Johannes Paul II. etwa hatte schon als Jugendlicher eine große Menge an Poesie bzw. lyrischen Texten geschrieben. Eines seiner berühmten Theaterstücke ist "Der Laden des Goldschmieds". Von Literaturpreisen weiß ich aber nichts.
Ein weiteres Beispiel wäre Johannes Paul I., der mit nur 33 Tagen im Jahr 1978 eine der kürzesten Amtszeiten der Geschichte durchlebte. Er hat eine ganz besondere Art von Texten verfasst: sogenannte "Illustrissimi". Dabei handelte es sich um Briefe an bekannte Persönlichkeiten seiner Zeit, an Mark Twain etwa.
Das war eine herrliche Literatur. Aber vor dem Hintergrund seines sehr kurzen Pontifikats kam wahrscheinlich auch die Wertschätzung für seine Texte zu kurz.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus sagt ja, er liest gerne Dramen. Wissen Sie, was da bei ihm besonders weit vorn im Bücherregal steht?
Nersinger: Ich habe versucht, jemanden zu finden, der etwas Auskunft geben könnte. Leider bin ich da gescheitert. Entweder möchte man das nicht sagen, oder man weiß es tatsächlich nicht.
Das Interview führte Carsten Döpp.