DOMRADIO.DE: In der Benediktsregel haben Priester keine besondere Stellung gegenüber Laienbrüdern. Wie ist es dennoch zu dieser Klerikalisierung in Ihrem Orden gekommen?
Abt Jeremias Schröder OSB (Abtpräses der Benediktinerkrongregation von St. Ottilien): Das hat sich im Frühmittelalter allmählich verschoben. Gemeinschaften, die erst einmal fast keine Priester zu haben scheinen, entwickeln die liturgische Seite stärker und brauchen dann dafür auch mehr Priester.
Es gibt ganz schöne Beispiele aus dem 9. Jahrhundert, wo man sieht, wie Klöster plötzlich die Reihenfolge der Mönche anders beschreiben. Erst geht das nach dem Professalter und plötzlich kommen zuerst die Patres, also die Priester, dann die Diakone, die Subdiakone und die anderen, die keine Weihen haben.
Da merkt man, dass sich das Bewusstsein allmählich verändert hat. So ist auch unser Orden allmählich klerikalisiert worden.
DOMRADIO.DE: Später haben sich die Franziskaner gebildet. Die sprechen sich im Regelfall alle mit "Bruder" an. Ist das als Antwort oder Abgrenzung zum Benediktinerorden zu verstehen?
Abt Jeremias: Das kann schon sein, dass das am Anfang eine starke Rolle gespielt hat. Allerdings wird auch erzählt, dass Franziskus selbst sehr stolz auf die Diakonatsweihe war, die er bekommen hat. Die ist ja auch bildlich erfasst und wird übrigens bei den Benediktinern überliefert. In Subiaco gibt es ein Fresko.
Ich glaube schon, dass die den Unterschied auch ernst genommen haben. Die haben die Brüder mit Weihe schon auch wieder geschätzt, aber das war eine ganz andere Zeit. Da sind wir im 13. Jahrhundert. Da hat man dann ziemlich selbstverständlich hingenommen, dass es auch diese Unterschiede gibt.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus geißelt immer wieder den Klerikalismus in der Kirche. War es so gesehen überraschend, als er 2022 ankündigte, dass auch Nicht-Priester religiöse Gemeinschaften, die aus Priestern und Laienbrüdern bestehen, leiten dürfen?
Abt Jeremias: Das war schon überraschend. Das Bestreben, das wieder zu ermöglichen, gibt es schon sehr lange. Die Benediktiner haben schon 1966 beschlossen, dass sie eigentlich wieder als eine Ordensgemeinschaft verstanden werden wollen, in der das Priestertum nichts Besonderes hinzufügt.
Im Jahr 2000 haben wir dann sogar formal den Antrag gestellt, zuzulassen, dass Brüder Äbte werden können. Das ist dann immer wieder neu verhandelt worden, aber es gab im Vatikan ganz wenig Entgegenkommen. Man hat gemerkt, dass das da einfach nicht so gewollt wurde.
Selbst Papst Franziskus, mit dem es da auch schon Kontakte gegeben hatte, hat man angemerkt, dass dies ein Thema ist, mit dem er sich als Jesuit noch nie beschäftigt hat. Für Jesuiten ist das Priestertum ein so selbstverständlicher Teil der Ordensidentität, dass das für ihn noch kein Thema gewesen ist.
DOMRADIO.DE: Es gibt kaum Laien als Jesuitenbrüder. Die meisten sind Priester.
Abt Jeremias: Da ist historisch die Rolle der Nichtpriester auch anders beschrieben, sodass das dort kein Thema ist.
DOMRADIO.DE: Gab es speziell von Ihrer Kongregation entsprechende Vorstöße zu dieser Reform oder war das ein zentrales Anliegen aller Kongregationen?
Abt Jeremias: Wir haben alle vier Jahre einen Kongress aller Benediktineräbte, so eine Art Kapitel. Da ist im Jahr 2000 beschlossen worden, dass wir das beantragen wollen. Abtprimas Notker Wolf hat das dann selbst vorgetragen. Er bekam sehr kryptische Antworten, die wohl vor allem signalisieren sollten, dass da nichts kommen wird.
2021 ist dann eine ganze Gruppe von Generaloberen in Rom zum Papst gegangen, um ihm vorzuschlagen, dass man es als ein Privileg für Orden ermöglichen soll, dass auch Laien als höhere Obere gewählt werden können. Da gab es dann zunächst keine Reaktion und man hörte im Hintergrund, dass das alles viel zu kompliziert und gar nicht so einfach sei, wie wir uns das vorstellen.
Als dann ein Jahr später im Mai plötzlich dieses Reskript von Papst Franziskus kam, war das wohl die Antwort auf diese Bitte. Die kam in einer etwas anderen Form als das, was erbeten worden war, aber so, dass es die Bedürfnisse, die die Orden da angemeldet hatten, auch gut abgedeckt hat.
DOMRADIO.DE: Jetzt ist in den USA erstmals ein Benediktiner-Laienbruder zum Abt gewählt worden. Bahnen sich nun ähnliche Wahlen auch andernorts an?
Abt Jeremias: In unserer Kongregation gibt es auch schon einen Oberen, der Bruder ist und der jetzt unter dieser neuen Regelung gewählt wurde. Der ist allerdings nicht zum Abt gewählt worden, sondern zum Konventualprior. Das ist von der Funktion her ganz ähnlich, aber ohne die Abtswürde.
DOMRADIO.DE: Es handelt sich also um keine Abtei, sondern um einen Konvent?
Abt Jeremias: Es ist ein Konventualpriorat in Kolumbien. Wir haben momentan noch keinen Überblick. Unsere ganzen Äbte versammeln sich jetzt in wenigen Wochen in Rom. Da werden wir dann auch versuchen zu hören, was es denn gegeben hat und wie in den jeweiligen Kongregationen mit dieser neuen Erlaubnis umgegangen worden ist.
Wir werden dann sehen, wie viele Fälle es schon gibt und vor allem, ob wir die Art und Weise, wie wir damit umgehen, vielleicht noch einmal besprechen und auch im Orden vereinheitlichen können.
DOMRADIO.DE: Ein Abt kann, auch wenn er kein Bischof ist, Pontifikalämter feiern, also mit Stab und Mitra in die Kirche einziehen. Wie muss man sich das bei einem Nicht-Priester vorstellen, der nicht einmal der Eucharistiefeier vorstehen darf?
Abt Jeremias: Natürlich kann er kein Pontifikalamt halten, denn das Amt ist ja eine Messe und das setzt die Priesterweihe voraus. Aber es gibt auch andere Funktionen im klösterlichen Leben, die in einer pontifikalen Form geleitet werden wie zum Beispiel Vespern.
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir seit Jahrhunderten das Beispiel der Äbtissinnen haben. Die sind natürlich keine Priesterinnen, aber die benutzen auch den Stab, die benutzen das Brustkreuz. Also sie benutzen Teile dieser Pontifikalinsignien und stellen auch diese Leitungsfunktion dar, nach außen und in ihrem Konvent.
Ich denke, da werden wir uns einiges abschauen, wie wir als Männer in Zukunft damit umgehen.
DOMRADIO.DE: Also möglicherweise könnte man sich einen Laienbruder-Abt ohne Mitra, aber mit Stab vorstellen?
Abt Jeremias: Ich würde mir das so vorstellen. Denn der Stab kommt eigentlich ursprünglich aus den Klöstern. Der ist aus der mönchischen Tradition zu den Bischöfen hinübergewandert. Bei der Mitra ist es umgekehrt.
Deswegen glaube ich, dass viele von uns sehr gut damit zurechtkommen, keine Mitra zu benutzen. Aber ich glaube auch, dass der Stab als Ursymbol für das Hirtenamt des klösterlichen Oberen auch einem Abt, der Laien-Bruder ist, anvertraut wird.
DOMRADIO.DE: Zumindest in Europa werden die Orden kleiner und manche Klöster werden aufgegeben. Ist diese Reform, die da von Papst Franziskus angestoßen worden ist, auch ein gutes Modell für die Zukunft?
Abt Jeremias: Wir Benediktiner gehen etwas zurückhaltend an das Thema dran, weil wir das eher so begründen, dass es einerseits die Tradition unseres Ordens ist. Der Heilige Benedikt selbst war nach unserer Überlieferung kein Priester.
Zum anderen sind wir manchmal in Situationen, wo es so wenige geeignete Kandidaten gibt, dass man den Kandidatenkreis etwas erweitern muss. Jemand, der eine gute Ausbildung hat, wie zum Beispiel dieser amerikanische Abt, soll dann auch dieses Amt ausüben können, selbst wenn er kein Priester ist.
Aber es wird bei uns nicht so sehr ideologisch oder programmatisch auf die Zukunft hin gesehen. Ich habe aber auch wahrgenommen, dass diese Erlaubnis zum Beispiel auch von den Franziskanern sehr intensiv erbeten, erhofft und dann auch begrüßt worden ist. Das wird dort schon prophetischer gesehen. Da ist vielleicht der Stil bei den Benediktinern etwas zurückhaltender.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.