DOMRADIO.DE: Dieser barocke Baldachin wurde vom vatikanische Baumeister Gian Lorenzo Bernini geschaffen. Fertigstellung war 1635 und er ist so hoch wie ein zehnstöckiges Haus, gebaut aus Bronze, Marmor, Holz und Gold. Das müssen ganz außergewöhnliche Bauarbeiten gewesen sein. Wie spektakulär war das damals?
Ulrich Nersinger (Journalist und Vatikan-Experte): Es war schon spektakulär. Es muss aber auch bedacht werden, dass Rom ja solche Aktionen kannte. Man wusste ja, dass die Künstler in Rom im Auftrag des Papstes durchaus zu solchen gewaltigen Konstruktionen und Kunstwerken in der Lage waren. Also man war zwar verblüfft, staunte und war sehr fasziniert, aber man wusste auch, die machen das immer so.
DOMRADIO.DE: Und die können das auch heute. Woher hatte man das ganze Material damals?
Nersinger: Ich vermute, Sie spielen vor allen Dingen auf die Bronze an, also die Unmengen von Bronze, die für dieses Kunstwerk nötig waren, kamen vom Pantheon. Das Pantheon ist ja eines der wenigen fast vollständig erhaltenen Kunstwerke der Antike, also zu Beginn des zweiten Jahrhunderts erbaut. Und davon wurde die Abdeckung genommen, denn die war aus Bronze.
DOMRADIO.DE: Das heißt, damals im 17. Jahrhundert, wurde nicht besonders geschichtsbewusst mit Bauwerken umgegangen und hat einfach die Materialien von einem historischen Bau in einen anderen gebracht?
Nersinger: Ich würde Jein sagen, also nicht so krass. Man hat die antiken Kunstwerke in gewisser Weise "genutzt" und man hat sie auch manchmal mit dem Bewusstsein genutzt, eine Entwicklung voranzubringen. Es herrschte durchaus Respekt vor diesen Bauten, aber sie wurden auch benutzt. Auch für Altäre in der Peterskirche wurden zum Beispiel Blöcke genommen oder Altäre aus dem heidnischen Rom, um sie dann zu heiligen für das Christentum. Also man hat da durchaus eine geschichtliche Entwicklung im Sinn.
DOMRADIO.DE: Schauen wir mal auf diesen Gian Lorenzo Bernini. Wer war dieser Mann, zu dem der damalige Papst Urban VIII., so ein Vertrauen hatte, dass er ihm diesen Bau zugetraut hat?
Nersinger: Er war natürlich wie viele seiner Zeitgenossen auch eine außergewöhnliche Persönlichkeit mit gewaltigen Fähigkeiten. Die Päpste und in erster Linie die Kardinäle waren sich durchaus bewusst, dass sie da jemanden haben, der für die Stadt Rom etwas schaffen konnte, was außergewöhnlich, was doch wiederum faszinierend ist.
DOMRADIO.DE: Aber er durfte jetzt nicht so einfach loslegen, er wird vom Papst wahrscheinlich schon Vorgaben für diesen Bau bekommen, oder?
Nersinger: Der Papst hat sich natürlich, wie die meisten Päpste vor ihm, dafür interessiert und auch Vorschläge gemacht. Natürlich gibt es auch persönliche Bezüge, wir sehen zum Beispiel unten an diesem Baldachin Bilder von einem Gesicht, das immer größer, immer dicker und mächtiger wird.
Der Papst hatte eine Nichte, von der man wusste, dass die Schwangerschaft sehr schwierig verlief. Es wurde beschlossen, das im Bau des Baldachin auch darzustellen, das war etwas Besonderes. Es hat auch einen religiösen Bezug, denn der Papst hat versprochen, dass er diesen Baldachin baut, wenn die Nichte ein gesundes Kind zur Welt bringt. Das wurde dann in den Fuß des Baldachin hineingebaut.
DORMADIO.DE: Was war das für ein persönliches Verhältnis, das Papst Urban VIII. und Bernini damals hatten?
Nersinger: Wir kennen ja aus dieser Zeit den Begriff der Kunst Patronage. Das heißt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer hatten ein besonderes Arbeitsverhältnis, das also bestimmte Voraussetzungen und Bedingungen, aber auch Privilegien bedeutete. Der Künstler hat dann fast ausschließlich für eine Person, eine Familie oder für einen Papst gearbeitet.
Es mussten dann regelmäßig Absprachen getroffen werden, was man gerade macht und es herrschte ein Verbot, ohne Zustimmung des Patrons für andere zu arbeiten. Das klingt vielleicht jetzt etwas negativ, aber im Grunde wissen wir, dass das Arbeitsverhältnis zwischen Papst Urban VIII. und Bernini, ein sehr gutes war, von gegenseitigem Respekt und gegenseitigem Verständnis getragen.
DOMRADIO.DE: Bernini hat dann nach dem Tod Papst Urbans VIII. noch für vier weitere Päpste gearbeitet. Hat er noch ähnlich wichtige Bauwerke wie diesen Baldachin gebaut?
Nersinger: Es gibt noch eine ganze Reihe von bedeutenden, sehr schönen, nachhaltigen und für unser Verständnis auch immer noch auf uns wirkende Kunstwerke. Aber in dieser Dimension hat er dann doch nichts mehr geschaffen, das war schon etwas Einmaliges.
DOMRADIO.DE: Die Restaurierung, die wurde ja deutlich früher abgeschlossen als angenommen. Überrascht Sie das?
Nersinger: Eigentlich nicht so sehr, wenn man bedenkt, dass früher ausschließlich die Dombauhütte von Sankt Peter für solche Renovierungen verantwortlich war. Das waren sehr, sehr geschickte Arbeiter, die unter großer Lebensgefahr manchmal arbeiten mussten. Sie ließen sich mit Seilen von der Kuppel in schwindelerregende Höhen herunter ließen. Heutzutage haben wir natürlich auch Arbeiter gehabt, die von außen kamen und Maschinenmöglichkeiten, die das dann doch auf eine andere Weise bewältigten. Dadurch ist die Sanierung auch viel schneller fertig geworden, denke ich.
Das Interview führte Carsten Döpp.