Für Frauen sind es wohl die tiefgreifendsten Erfahrungen ihres Lebens: Schwangerschaft und die Geburt des Kindes. Unabhängig davon, ob es sich nun um das erste Kind handelt oder nicht, bleiben es hoch emotionale Momente, die für die werdenden Mütter immer auch verschiedene Sorgen und Nöte mit sich bringen. In der aktuellen Corona-Krise zeigt sich dies besonders deutlich.
Zunehmend Existenzängste
"Gesellschaftliche Veränderungen spiegeln sich in der Regel sofort in unserer Arbeit wider", erklärt Regine Hölscher-Mulzer von der Schwangerschaftsberatung des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF). "Die momentane Situation bringt aber eine besonders große Belastung mit sich."
Dementsprechend hätten sich auch die Anfragen an die Beratungsstellen geändert. Neben den Sorgen, die zu jeder Zeit beständen, kämen nun bei manchen Frauen auch konkrete Existenzängste hinzu: "Einige drohen wegen der Krise arbeitslos zu werden und haben Angst, nach der Geburt plötzlich ohne Grundlage da zu stehen. Andere fürchten sich vor allem davor, sich selbst und das ungeborene Kind mit dem Virus zu infizieren."
Väter müssen draußen bleiben
Erschwerend komme hinzu, dass auch die Beratungsstellen selbst von den Corona-Bestimmungen betroffen sind. "Die Beratungsstellen sind offen und erreichbar. Wir halten unser Angebot vor allem telefonisch und online aufrecht. Aber ein persönliches Treffen ist natürlich nur sehr eingeschränkt möglich."
Eine der drängendsten Fragen, die sich bei den Schwangeren zurzeit aufdränge, sei die nach der Begleitperson bei der Entbindung. Wegen der Pandemie haben viele Krankenhäuser die Besuchsregelungen stark verschärft, unter anderem auch in den Kreißsälen. Partnern oder anderen nahestehenden Bezugspersonen ist es so teilweise nicht mehr möglich, die Mutter und das Neugeborene zu unterstützen.
Eine Geburt betrifft beide Elternteile
Das mutet an, wie eine Rückkehr in das vergangene Jahrhundert. Bis in die 1970er Jahre war es eher unüblich, dass werdende Väter mit in den Kreißsaal kamen. Erst langsam begann danach ein Bewusstsein dafür zu entstehen, dass eine Geburt beide Elternteile gleichermaßen betreffen sollte und die Väter von Beginn an Unterstützung leisten müssten.
Dies ist nach Ansicht von Hölscher-Mulzer auch elementar. Die nun drohende Aussicht, das Kind ganz alleine auf die Welt bringen zu müssen, sorge bei vielen werdenden Müttern für zusätzliche Unsicherheit - was die Expertin auch auf die mediale Berichterstattung zurückführt. "Die Situation ist regional sehr unterschiedlich. Die Frauen bekommen in Zeitung und Fernsehen oft nur mit, dass es diese Verbote gibt. Dabei kann es bei ihnen vor Ort ganz anders aussehen."
Zunehmend Interesse an Hausgeburten
Auf der anderen Seite zeige sich dadurch aber auch, wie wichtig das Thema ist und für wie selbstverständlich die Anwesenheit der Partner im Kreißsaal genommen wurde. "Nun, da es unter Umständen nicht möglich sein könnte, ist das für die Frauen umso schockierender", so Hölscher-Mulzer.
Ein Ausdruck dieser Beunruhigung ist ein zunehmendes Interesse an Hausgeburten. "Tatsächlich haben die Anfragen seit Beginn der Krise zugenommen", berichtet die Vorsitzende des nordrhein-westfälischen Hebammenverbandes, Barbara Blomeier.
Anders als beispielsweise in den Niederlanden, wo Hausgeburten weitaus üblicher sind, kamen in den vergangenen Jahren in Deutschland nur zwischen ein und zwei Prozent der Kinder im heimischen Umfeld zur Welt. Der Vorteil einer Entbindung im eigenen Heim soll darin liegen, dass das gewohnte Umfeld bei Mutter und Neugeborenem für mehr Entspannung sorge.
Geburt zu Hause keine Notlösung
Blomeier hat selbst langjährige Erfahrung mit Hausgeburten. Sie weiß, dass jede Niederkunft in den eigenen vier Wänden unterschiedlich ist.
"Das betrifft nicht nur die Gebärende, sondern auch die Reaktionen der anwesenden Angehörigen." Wichtig sei, dass es sofort einen Kontakt mit dem Neugeborenen gibt: "Was in den ersten Minuten und Stunden nach der Geburt passiert, ist unglaublich wichtig für die Bindung von Mutter und Kind, ebenso wie auch zur ganzen Kernfamilie", erklärt die Hebamme. Die häusliche Atmosphäre könne sich hier begünstigend auswirken.
Allerdings sollte dieser Schritt trotz allem wohlüberlegt sein. "Für eine Hausgeburt muss man sich bewusst entscheiden und nicht, weil es gerade das kleinere Übel ist", betont Blomeier. Die Hebammen führten deswegen mit Interessentinnen ausführliche Gespräche und gingen in der Beratung behutsam mit dem Thema um. "Wir wollen die Krise nun sicher nicht nutzen, um für Hausgeburten zu werben."
Wahlfreiheit entscheidend
Zudem lasse sich eine Hausgeburt auch nicht ohne weiteres kurzfristig durchführen. "Die komplette Ausrüstung zum Abnabeln des Kindes muss vorhanden sein, es muss Meldung bei Krankenkassen und Versicherungen gemacht werden, und die medizinische Notfallversorgung muss gewährleistet sein", erklärt Blomeier. "Frauen und Familien sollten viel Zeit haben, um gemeinsam mit der Hebamme zu einer informierten Entscheidung zu kommen."
Hinzu komme die rechtliche Lage, die es für die Hebammen in Deutschland schwieriger macht, Hausgeburten durchzuführen. Allerdings habe die Krise tatsächlich dafür gesorgt, dass in diesem Bereich etwas in Bewegung geraten ist. "Es gibt inzwischen Lösungen mit den Krankenkassen, um die für Hausgeburten notwendigen Versicherungen kurzfristiger umzustellen", erklärt Blomeier. "Außerdem wurde der Zeitraum, der bei der Hebamme seit der letzten durchgeführten Hausgeburt vergangen sein darf, auf sechs Jahre angehoben."
Corona-Krise hin oder her: Am wichtigsten ist es nach Meinung der Hebamme, generell dafür zu sorgen, dass schwangeren Frauen die Wahlfreiheit bliebe. "Sie sollten sich ohne Angst und auch ohne schlechtes Gewissen für die Art der Geburt entscheiden dürfen, bei der sie sich am wohlsten fühlen. Ob das nun in der Klinik, im Geburtshaus oder eben im eigenen Zuhause ist, darf keine Rolle spielen."