Kirchenrechtler Güthoff analysiert Kölner Gutachten

"Der Fehler wurde 2011 gemacht"

Der Münchener Kirchenrechtler Elmar Güthoff hat wesentliche Teile des Kölner Gutachtens zum Umgang mit Missbrauchsfällen studiert. Im Interview spricht er über die Rolle Kardinal Woelkis und langsam mahlende römische Mühlen.

Ein Rosenkranz liegt auf dem Codex Iuris Canonici / © Harald Oppitz (KNA)
Ein Rosenkranz liegt auf dem Codex Iuris Canonici / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie das Gutachten wahrgenommen? Ist es ein großer, richtiger und wichtiger Schritt in Sachen Aufklärung sexualisierter Gewalt im Erzbistum?

Prof. Dr. Dr. Elmar Güthoff (Professor für Kirchenrecht, Universität München): Ich habe die wesentlichen Teile des Gutachtens gelesen. Das Gutachten ist gut gegliedert, es setzt sich mit dem Auftrag auseinander. Das Gutachten entwickelt eine eigene Methodik und die wird dann auch noch gut umgesetzt. Das wird alles ausführlich begründet und auch noch erläutert.

Auch die Akten, die man vom Erzbistum erhalten hat, werden beschrieben, und zwar mit all ihren Mängeln. Unklarheiten werden dann in Anhörungen der damaligen und heutigen diözesanen Verantwortlichen angesprochen. Aber diese Unklarheiten werden nicht immer ausgeräumt.

Und dann werden Fälle dargestellt, und zwar alle, die in den Akten enthalten waren. Das steht im Zentrum des Gutachtens. Ausführlich werden hier die 24 Fälle mit klaren Verstößen behandelt. Die Bewertungen erfolgen rein juristisch und sind gut begründet. Es gibt keine moralischen Verurteilungen und das alles macht einen sehr seriösen Eindruck.

Das Gutachten ist nicht perfekt, aber man darf nicht vergessen, dass es in weniger als fünf Monaten erstellt wurde und fast 900 Seiten lang ist.

Und um auf Ihre Frage zurückzukommen - das Gutachten ist ein großer, richtiger und wichtiger Schritt in Sachen Aufklärung sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln.

DOMRADIO.DE: Das Gutachten ist wie angesprochen ein rein juristisches Gutachten. Schauen wir auf die kirchenrechtliche Perspektive. Ist es da auch kirchenrechtlich ein nötiger, vielleicht sogar zwangsläufiger Schritt, Weihbischof Schwaderlapp von seinen Aufgaben zu entbinden? Und was heißt das eigentlich?

Güthoff: Weihbischof Schwaderlapp wurde von Kardinal Woelki mit sofortiger Wirkung vorläufig von seinen Aufgaben entbunden. Man könnte sagen, er wurde beurlaubt. Er wurde nicht seines Amtes enthoben und die Beurlaubung erfolgte zudem nicht dauerhaft, sondern vorläufig. Theoretisch könnte er also irgendwann wieder seine alten Aufgaben ausüben. Aber das muss zu gegebener Zeit der Erzbischof entscheiden.

Weihbischof Schwaderlapp hat im Erzbistum Köln die Funktion eines Bischofsvikars. Ein Bischofsvikar ist so etwas Ähnliches wie ein Generalvikar nur auf einen bestimmten Bereich bezogen. Monsignore Schwaderlapp bleibt also Weihbischof, aber Kardinal Woelki hat diesen Weihbischof von seinen Aufgaben im Erzbistum Köln entbunden. Man könnte auch sagen, er hat ihn in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Er hat ihm die Aufgaben übertragen und er kann sie ihm auch wieder nehmen.

Das Gutachten hat Weihbischof Schwaderlapp acht Pflichtverstöße beim Umgang mit Meldungen sexuellen Missbrauchs vorgeworfen. Und diese Pflichtverstöße wurden ihm nicht nur vorgeworfen, sie wurden im Gutachten auch ausführlich dargelegt und begründet.

Gefragt haben sie mich aber nach der Angemessenheit dieses Schrittes. Kardinal Woelki hat Entscheidungen angekündigt, Weihbischof Schwaderlapp wurden Pflichtverstöße nachgewiesen. Der Kardinal hat konsequent gehandelt und das im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten. Wie gesagt, das war konsequent, aber nicht zwangsläufig. Niemand hat Kardinal Woelki dazu gezwungen.

Rechtlich zwingend erforderlich wäre dieser Schritt nicht gewesen, aber es geht auch um die Frage der Angemessenheit. Kardinal Woelki hat entschieden, dass es angemessen war, Weihbischof Schwaderlapp von seinen Aufgaben zu entbinden. Jeder darf hierzu seine eigene Ansicht haben. Meine persönliche Meinung halte ich aus Interviews heraus, weil ich Interviews nur auf dem Hintergrund meiner Fachkompetenz gebe.

DOMRADIO.DE: Konkret heißt das nun, dass Weihbischof Schwaderlapp vorläufig keine Firmung mehr durchführen kann, nicht mehr auf Visitatiosreise gehen kann. Nun hat Weihbischof Schwaderlapp selbst auch Rom seinen Rücktritt angeboten. Kann denn ein Bischof überhaupt aus einem Bischofsamt entbunden werden? Oder bleibt ein Bischof nicht immer Bischof, so wie ein Priester ja auch immer ein Priester bleibt?

Güthoff: Ich habe gerade über die Funktionen gesprochen, die Weihbischof Schwaderlapp im Erzbistum Köln hat. Darüber hinaus ist er Bischof. Genauer gesagt Weihbischof und der Fachausdruck dafür ist Auxiliarbischof. Zum Weihbischof hat ihn der Papst bestellt. Und wie man liest, hat Weihbischof Schwaderlapp tatsächlich dem Papst seinen Rücktritt angeboten. Das bezieht sich aber nur auf das Amt des Weihbischofs. Der Papst kann jetzt den Rücktritt annehmen oder die Annahme ablehnen. Warten wir doch ab, wie der Papst entscheidet.

Aber auch wenn der Papst den Rücktritt annimmt, bleibt Monsignore Schwaderlapp weiterhin Bischof. Er wäre dann ein Bischof ohne Amt und Funktion. Er bleibt Bischof und wird nicht zum Priester zurückgestuft. Letztlich hätte er die Rechtsstellung eines Weihbischofs, dessen Rücktrittsgesuch der Papst aus Altersgründen angenommen hat.

DOMRADIO.DE: Sprechen wir nun über die Rolle, die der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki in diesem Gutachten spielt. Die Anwaltskanzlei sagt auch, indem sie sich auf renommierte Kirchenrechtler beruft, mit denen sie zusammengearbeitet hat, dass der Kardinal kirchenrechtlich keine Verfehlung begangen hat. Wie beurteilen Sie das nach einem ersten Studium dieses umfangreichen Gutachtens?

Güthoff: Lassen Sie mich zunächst auf die an der Erstellung des Gutachtens einbezogenen Kirchenrechtler eingehen. Das kirchliche Strafrecht zählt nicht zu den einfachsten Bereichen des Kirchenrechts und daher war es im Hinblick auf die Erstellung des Gutachtens wichtig, Kirchenrechtler einzubeziehen. Entschieden haben sich die Gutachter für Helmut Pree und Stefan Korta. Herr Pree ist ein pensionierter Kirchenrechtsprofessor, der eine der bedeutendsten Koryphäen des Kirchenrechts sein dürfte. Der Name Pree bürgt für Qualität und Seriosität. Herr Korta hat sich in den zurückliegenden Jahren als Anwalt im Bereich des Kirchenrechts mit seriöser Arbeit einen guten Namen hart erarbeitet.

Das Gutachten enthält etwa 60 Seiten zum kirchlichen Strafrecht als solchen. Und diese Ausführungen haben hohe Qualität. Das hat Lehrbuch-Charakter. Auch bei der Auswertung der 24 Fälle im Hinblick auf Pflichtverletzungen von Diözesanverantwortlichen spürt man die kirchenrechtliche Fachkompetenz.

Gehen wir aber nun auf die 24 Fälle ein, in denen das Gutachten Pflichtverstöße von diözesanen Verantwortlichen feststellt. Es geht mir um einige Fälle, die in die Amtszeit von Kardinal Meisner fielen. Einige dieser Fälle wurden dann Kardinal Woelki nach seinem Amtsantritt in Köln wieder vorgelegt. Er veranlasste, dass sie sachgerecht geregelt wurden, ohne Pflichtverstöße.

Für die Zeit, in der Kardinal Woelki als Erzbischof von Köln tätig ist, findet sich im Gutachten nichts, was man ihm persönlich als Pflichtverstoß anlasten könnte. Dementsprechend fällt dann auch das Ergebnis des Gutachtens im Hinblick auf Kardinal Woelki aus. Wer das Gutachten liest, wird das leicht nachvollziehen können.

DOMRADIO.DE: Da gibt es jetzt aber den sogenannten Fall O., der überall diskutiert wird. 2015 soll Kardinal Woelki einen Verdachtsfall gegen einen Düsseldorfer Priester wegen schweren sexuellen Missbrauchs nicht an den Vatikan gemeldet haben. Hat er damit nicht gegen die damals geltende "normae de gravoribus delictis" verstoßen, in denen es in Artikel 16 doch heißt: "Wann immer der Ordinarius oder Hierarch eine mindestens wahrscheinliche Nachricht über eine schwerwiegende Straftat erhält, muss er nach Durchführung einer Voruntersuchung Rom darüber informieren".

Güthoff: Ich glaube, jetzt ist eine Vorbemerkung angesagt. Ich kenne Kardinal Woelki nicht. Ich bin ihm nie begegnet. Ich stehe in keinem Abhängigkeitsverhältnis von ihm. Ich bin ein unabhängiger Wissenschaftler, der auf dem Hintergrund der ihm vorliegenden Informationen in Anwendung seines Fachwissens Ihre Fragen beantwortet.

Dieser Fall O. wird im Gutachten als Fall 5 behandelt. Dieser Fall begann 2010. 2011 konkretisieren sich die Angaben, dass der Betroffene etwa 1977 Opfer sexueller Gewalt wurde. Das ist eine ganz fürchterliche Geschichte. Aber der Betroffene wollte keine weiteren Aussagen machen. Das wäre aber wichtig gewesen. Aber in den Akten steht, dass er das nicht wollte. Es stellt sich die Frage, ob man damals nachbohren sollte. Das hat man getan. Der Betroffene hat nämlich zweimal gesagt, dass er nichts sagen will. Hätte man 2011 weiter nachbohren sollen? Ich weiß es nicht. Oder hätte man seinen Willen akzeptieren sollen?

Bitte bedenken Sie, der Mann war von den Erlebnissen des sexuellen Missbrauchs immer noch schwer traumatisiert. Aber 2011 hätte man Pfarrer O. noch befragen können. Er war zwar bereits gesundheitlich angeschlagen, aber es wäre wohl damals noch möglich gewesen. Und das ist nicht erfolgt. Hier lag ein Versäumnis vor. Aber es war das Jahr 2011 und Herr Woelki war Weihbischof und er war nicht für die Bearbeitung der Fälle sexuellen Missbrauchs zuständig. Der Betroffene konnte keine Zeugen für den sexuellen Missbrauch nennen.

Die Rede ist aber von einem Hausmeister, der sie fast erwischt hätte. Was heißt denn "fast" erwischt? "Fast erwischt" heißt "nicht erwischt". Damit wäre dieser Hausmeister wohl kein Tatzeuge gewesen.

Jetzt komme ich zum Jahr 2015. 2015 ließ Kardinal Woelki sich dann die Akte vorlegen. Seit drei Jahren gab es keinen Kontakt mehr zum Betroffenen. Und er hatte zweimal erklärt, dass er nichts sagen will. Pfarrer O. war 2015 nicht mehr vernehmungsfähig. Das war durch ärztliche Bescheinigungen belegt und so wird es dann auch in den Befragungen angegeben. Und wie gesagt, er hat keine Zeugen des sexuellen Missbrauchs. Die vorliegenden Angaben reichten 2015 für ein Strafverfahren gegen Pfarrer O. nicht aus.

Eine Voruntersuchung hätte nach Lage der Akten von 2015 keine neuen Erkenntnisse gebracht. Die Gefahr einer Wiederholung der Tat war 2015 nicht gegeben. Und auf diesem Hintergrund hat Kardinal Woelki entschieden, die Sache nicht weiterzuverfolgen. Er hat keine Voruntersuchung eingeleitet. Eine solche Voruntersuchung hätte 2015 keine neuen Erkenntnisse im Hinblick auf den Täter gebracht.

Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass 2015 für Kardinal Woelki keine Verpflichtung bestand, eine Meldung an die Kongregation für die Glaubenslehre zu machen. Die von Ihnen zitierte Norm fordert eine Meldung nach Durchführung einer Voruntersuchung. Aber es wurde von Kardinal Woelki keine Voruntersuchung durchgeführt. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden. Kardinal Woelki ist an dieser Stelle kein Pflichtverstoß vorzuwerfen.

Wenn man bei der Behandlung dieses Falles einen Pflichtverstoß feststellen kann, dann nur 2011, aber nicht vom damaligen Weihbischof Woelki. Zu Beginn des Jahres 2021 las man in den Medien, der Betroffene sei durchaus zu Gesprächen bereit. Ich will gar nicht der Frage nachgehen, aus welcher Quelle diese Äußerungen kommen. Das wäre Spekulation. Wichtig ist etwas anderes. Das sind Äußerungen aus dem Jahr 2021. Kardinal Woelki hat aber 2015 entschieden.

Entscheiden konnte er 2015 nur auf dem Hintergrund der damaligen Akten. Und da stand, dass der Beschuldigte nicht aussagen wollte. Nachfolgende Medienberichterstattungen können doch nicht zur Grundlage einer Entscheidung von vor sechs Jahren gemacht werden.

DOMRADIO.DE: Aber nun gibt es die Betroffenenbeauftragte Christa Pesch, die sagt, dass Kardinal Woelki 2015 keinen Kontakt mit ihr aufgenommen habe und auch nicht mit den Betroffenen gesprochen habe. Also dass 2015 die Betroffenen gar nicht zu Wort gekommen seien, obwohl sie zur Aufarbeitung und Aufklärung des Falls - so sagt die Betroffenenbeauftragte, die das damals betreut hat, - hätte beitragen können.

Wäre das nicht nötig gewesen, um eine Voruntersuchung tatsächlich einzuleiten? Es geht ja nicht nur um den Wiederholungstäter und die Bestrafung des inzwischen schon schwerkranken vermeintlichen möglichen Täters, sondern es geht auch um die Betroffenen, dass die Wahrheit ans Licht kommt, dass aufgeklärt wird.

Güthoff: Wir müssen unterscheiden. Ich habe diese Äußerung von Frau Pesch aus dem Jahr 2021 auch gelesen. In den Akten, die Kardinal Woelki 2015 vorlagen, steht nichts darüber. In den Akten steht dementsprechend auch 2011 nichts darüber. Aber der Zeitpunkt zum Nachbohren wäre 2011 gewesen, nicht 2015. Da erfolgte die Entscheidung nach Aktenlage. 2011 bringe ich Kritik an, richtig. 2015 nicht. Und Informationen, das sage ich jetzt nochmal, aus dem Jahr 2021 können nicht zum Maßstab einer Entscheidung von 2015 gemacht werden.

DOMRADIO.DE: Nun hat es einen berechtigten Tatverdacht gegeben, sonst hätte das Erzbistum Köln ja auch nicht eine erhebliche finanzielle Entschädigung gezahlt. Ist dieser Tatverdacht nicht zwangsläufig ausreichend, um dann auch nach Rom gemeldet zu werden? Ganz unabhängig von der - Sie sprachen es bereits an - Krankheit des Täters oder auch der Verjährung sagt der Wortlaut der Anordnung der Norm aus Rom nicht, dass ein Tatverdacht ausnahmslos zu melden ist?

Güthoff: Wir müssen davon ausgehen, dass der Betroffene als Kind schwer sexuell missbraucht wurde. Wir müssen aber trotzdem zwei Dinge unterscheiden: Zunächst ist da die Anerkennung des Leids des Opfers. Und da gab es den berechtigten Tatverdacht, etwa im Hinblick auf das Jahr 1977. Die Schilderung des Opfers wurde im Hinblick auf den erlittenen schweren sexuellen Missbrauch als glaubwürdig eingestuft und dafür bekam er eine Entschädigungssumme ausgezahlt.

Als ob Geld die Folgen sexuellen Missbrauchs wiedergutmachen könnte. Diese Folgen wird man sein ganzes Leben nicht mehr los. Aber die Zahlung einer Summe ist ein symbolischer Akt der Anerkennung. Und es ist gut, dass es solche Zahlungen gibt, auch wenn sie niemals das erlittene Leid wiedergutmachen können.

Davon zu unterscheiden ist das kirchliche Strafverfahren, in dem es um die Verurteilung des Täters geht. In Strafverfahren braucht man aber Gewissheit im Hinblick auf den Täter und die hat nicht bestanden. Es war ja nicht erwiesen, dass der sexuelle Missbrauch von Pfarrer O. begangen wurde. Ja, es gab Hinweise in diese Richtung. Aber es gab auch Unklarheiten.

Zur Aufklärung der Unklarheiten wäre eine erneute Befragung des Opfers wichtig gewesen. Möglicherweise hätte sich der Verdacht der Täterschaft dadurch erhärtet. Möglicherweise nicht. Vielleicht wäre aber auch ein anderer Täter verdächtig geworden. Wir wissen es nicht, weil es keine weiteren Befragungen gab. Vor allem aber hätte man den Beschuldigten befragen müssen. Aber das war 2015 nicht mehr möglich. Auch Zeugen wären hilfreich gewesen, aber die gab es nicht.

Strafverfahren können nicht in jedem Fall geführt werden. Das stellt keine Leugnung des Leides des Betroffenen dar. Das ist kein Freispruch für den Beschuldigten. Aber wenn die Beweise nicht ausreichen, kann es keine Verurteilung geben. Und wenn man im Vorfeld weiß, dass man nicht an Beweise kommen kann, die für eine Verurteilung ausreichen, dann muss man auch keine Voruntersuchung durchführen.

Damit sind wir bei der Frage nach der anzuwendenden Norm, von der Sie in Ihrer Frage gesprochen haben. Welche Norm meinen Sie? Es gibt eine Empfehlung von 2020, jeden Verdachtsfall an die Kongregation für die Glaubenslehre zu melden. Aber Kardinal Woelki hat 2015 entschieden. Da gab es die Empfehlung von 2020 noch nicht. Das Kirchenrecht enthielt 2015 keine rechtlich eindeutige Verpflichtung, einen Verdachtsfall an die Kongregation für die Glaubenslehre zu melden, wenn keine Voruntersuchung erfolgte. Aber noch einmal: Der Fehler wurde 2011 gemacht, nicht 2015, und der Fehler wurde nicht von Kardinal Woelki begangen.

DOMRADIO.DE: Nun gibt es ja aus Rom keine offizielle Mitteilung, dass der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki kirchenrechtlich alles richtig gemacht hat. So etwas wäre wahrscheinlich auch eher unüblich. Man geht aber davon aus, dass Rom ihn kirchenrechtlich freigesprochen hat. Wie geht es denn eigentlich nun weiter? Wird Rom dem Gutachten der Kanzlei Gercke und der kirchenrechtlichen Experten in dem Gutachten folgen und keine Untersuchung gegen Kardinal Woelki in die Wege leiten?

Güthoff: Eine römische Bescheinigung, dass man kirchenrechtlich alles richtig gemacht hat, gibt es leider nicht. Meine Studenten hätten gerne solche Bescheinigungen. Freigesprochen wird man in Gerichtsverfahren. Kardinal Woelki stand aber in Rom nicht unter Anklage. Und was genau ist unter Rom zu verstehen?

Kardinal Woelki hat sich zur Überprüfung seines Verhaltens im Falle des Priesters O. Ende 2020 an den Papst gewendet. Die Untersuchung, von der Sie sprechen, ist somit schon im Gang. Der Papst hat sich damit nicht selbst befasst, war auch nicht zu erwarten. Bei Bischöfen ist eine Überweisung an die Kongregation für die Bischöfe naheliegend, die dann gegebenenfalls mit der Kongregation für die Glaubenslehre zusammenarbeitet. Den Medien konnte man entnehmen, dass die Kongregation für die Glaubenslehre, im Hinblick auf den Umgang mit dem Fall von Pfarrer O. bei Kardinal Woelki keinen Pflichtverstoß feststellen konnte.

Aber die römischen Mühlen mahlen manchmal langsam. Von einer Entscheidung der Kongregation für die Bischöfe habe ich noch nichts gelesen. Die Kongregation für die Bischöfe wird nicht anhand des Gutachtens entscheiden. Entschieden wird auch hier vor dem Hintergrund der Entscheidung von Kardinal Woelki 2015.

Hinzu kommt das bereits erwähnte Votum der Kongregation für die Glaubenslehre. Es ist möglich, dass die Kongregation für die Bischöfe ihre Entscheidung dann noch den Papst zur Genehmigung vorlegt. In der Angelegenheit von Pfarrer O. sind auf dem Hintergrund der vorliegenden Unterlagen durch den Heiligen Stuhl für Kardinal Woelki keine weiteren Schritte zu erwarten. Ich wiederhole nochmal: Er hat 2015, rechtlich gesehen, nichts falsch gemacht. Der Fehler wurde 2011 gemacht, aber nicht vom damaligen Weihbischof Woelki.

DOMRADIO.DE: Inwieweit ist das Kirchenrecht ein Recht mit "bedingter Verlässlichkeit". Ist es nicht so, dass das Kirchenrecht immer in der Hand des Rechtsanwenders liegt, nämlich der Kirche, und nicht in der Hand einer unabhängigen Instanz und damit auch nur bedingt rechtssicher, also sehr dehnbar ist? Stichwort Gewaltenteilung.

Güthoff: Das ist eine Frage, die das Kirchenrecht zu jeder Zeit beschäftigen sollte. Man kann ganz viel dazu sagen. Rechtsunkenntnis ist nie gut. In Köln hat sich gezeigt, dass sogar einige Diözesanverantwortliche nicht die erforderliche Kenntnis des Kirchenrechts hatten.

Das kirchliche Strafrecht ist schon extrem unübersichtlich. Aber damit allein kann man diese Rechtsunkenntnis wohl nicht erklären. Woanders wird es nicht besser als in Köln sein. Früher war es sicher oft so, dass vor allem die Funktionsträger Kirchenrechtskenntnisse hatten und nicht die einfachen Gläubigen. Und das war nicht gut. Denn Kirchenrecht darf nicht zum Herrschaftsinstrument verkommen. Recht steht immer im Dienste des Menschen. Recht ist für alle da. Recht soll eine Hilfe für den Menschen sein. Recht dient nicht nur der Disziplinierung.

Wir alle haben zudem subjektive Rechte und das Recht sollte uns helfen, diese Rechte auch durchzusetzen. Jeder muss in der Kirche zu seinem Recht kommen können. Jeder, nicht nur der Starke, nicht nur derjenige, der die Mehrheit hinter sich hat. Jeder muss in der Kirche zu seinem Recht kommen können. Jeder, also Sie, ich, die Leser dieses Interviews und auch Kardinal Woelki.

Das Interview führte Johannes Schröer.


 

Prof. Elmar Güthoff / © Regina Maria Schwarz (Tagespost)
Prof. Elmar Güthoff / © Regina Maria Schwarz ( Tagespost )
Quelle:
DR
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