DOMRADIO.DE: Das Bistum Aachen hatte am 18. Oktober zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch eine Liste mit Namen von 53 Tätern sowie mutmaßlichen Tätern veröffentlicht, die mindestens zehn Jahre tot sind. Unter ihnen ist auch der 1986 gestorbene Weihbischof August Peters. Die Familie lasse derzeit durch mehrere Juristen prüfen, ob "strafrechtlich, zivilrechtlich und kirchenrechtlich" gegen Bischof Dieser vorgegangen werden könne, sagte nun Leo Peters, der Cousin des Weihbischofs. Er bestätigte damit einen Bericht der "Aachener Zeitung" (Samstag online). Welche Möglichkeiten an rechtlichen Schritten hat denn jetzt die Familie des Verstorbenen?
Cornel Hüsch (Rechtsanwalt und langjähriges Mitglied verschiedener Gremien im Erzbistum Köln): Grundsätzlich kann man natürlich an strafrechtliche Schritte denken. Angehörige können nach Paragraf 194 StGB einen eigenständigen Antrag stellen, auch wenn es um die Totenehre geht. Man kann auch über zivilrechtliche Fragen nachdenken, dass zum Beispiel auf Unterlassung geklagt wird oder sogar Schadensersatz gefordert wird. Das müsste dann aber ein Erbe tun. Ob das der von Ihnen genannte Cousin ist, das kann man zunächst mal bezweifeln. Aber rechtlich möglich wären zivilrechtliche Schritte.
Kirchenrechtliche Schritte gibt es meines Erachtens derzeit nicht, weil es eine Art Verpflichtungsklage nach kirchlichen Rechtsvorschriften wohl nicht gibt, sodass am Ende das strafrechtliche Vorgehen das maßgebliche sein wird, worüber man jetzt nachzudenken hätte.
DOMRADIO.DE: Wenn so ein Gutachten veröffentlicht wird, in dem ja auch Namen bekannt gegeben werden, muss man sich durchaus darauf einrichten, dass es Menschen gibt, zum Beispiel Angehörige, die dagegen rechtlich vorgehen. Was muss denn ein Bistum tun, wenn eine solche Studie in Auftrag gegeben wird, damit vorbeugend gehandelt werden kann, also Klagen keine Aussicht auf Erfolg haben?
Hüsch: Man muss natürlich die Ehre aller Beteiligten immer im Blick halten. Das Bundesverfassungsgericht hat gerade noch Ende des letzten Jahres im Zusammenhang mit den Ansprüchen der Witwe von Helmut Kohl festgestellt, dass der Ehrenschutz der Verstorbenen nicht weiter geht als der Ehrenschutz der Lebenden. Deshalb muss man alles verhindern, was die Ehre verletzt.
DOMRADIO.DE: Was wäre das?
Hüsch: Man darf keine falschen Tatsachenbehauptungen erheben. Und wenn man Dinge veröffentlicht, muss man klar und deutlich machen, nach welchen Kriterien man analysiert hat. Und schließlich darf die Art und Weise der Veröffentlichung keine sogenannte Formalbeleidigung sein. Das heißt, es muss derjenige, der öffentlich eine Tatsache mitteilt, die auch als ehrverletzend angesehen werden könnte, sehr genau abwägen, ob er im berechtigten Interesse diese Veröffentlichung auch durchführen darf.
DOMRADIO.DE: Hier kann es ja offenbar nicht geklärt werden, ob es um eine Tatsache geht oder eine Beschuldigung, weil sich der Beschuldigte ja selbst nicht mehr zu Wort melden kann. Macht das einen Unterschied, wenn es hier erst mal um eine reine Beschuldigung geht?
Hüsch: Grundsätzlich muss derjenige, der veröffentlicht, deutlich machen, aufgrund welcher Erkenntnisse er das tut. Das hat der Aachener Bischof sehr deutlich gemacht. Er unterscheidet nämlich solche Fälle, bei denen es bereits zu einer strafrechtlichen oder kirchenrechtlichen Verurteilung gekommen ist. Dort spricht er von Tätern. Und bei denjenigen, wo jedenfalls eine gesicherte, unabhängige Überprüfung und Zahlung von Geldern geflossen ist, spricht er von mutmaßlichen Tätern. So auch bei Weihbischof Peters, der hier in Rede steht.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet denn jetzt dieser Vorgang aus dem Bistum Aachen für die Entscheidung des Erzbistums Köln? Wir erinnern uns, das erste Gutachten, das ja auch von derselben Kanzlei stammte wie dieses Aachener Gutachten, wurde nicht veröffentlicht. Hat man genau da auch den Knackpunkt gesehen?
Hüsch: Das kann man nicht so gut vergleichen, weil die Aachener ja ganz explizit nur solche Fälle veröffentlicht hatten, wo der mutmaßliche oder bekannte Täter bereits mehr als zehn Jahre verstorben ist. Das Gutachten im Erzbistum Köln behandelte dagegen auch Fälle von noch in Amt und Würden befindlichen Geistlichen. Trotzdem muss man sagen, es gibt einen Erkenntnisgewinn, der auch wichtig ist in diesen Dingen.
Deshalb ist nachvollziehbar, dass man sich das sehr gut überlegt, ob Namen veröffentlicht werden. Oder ob man es lässt, bevor man sich nicht ganz sicher ist, gerade bei lebenden Personen, ob eine Veröffentlichung nicht Unterlassungsansprüche zur Folge haben könnte. Das war in Köln ja tatsächlich so; die im Bericht Genannten sind ja auch befragt worden und hatten die Gelegenheit, hierzu Stellung zu nehmen. Auch deren Stellungnahmen wurden dann wiederum öffentlich gemacht, sodass unter Berücksichtigung des Persönlichkeitsrechts da schon eine sehr weitgehende, aber wohl auch richtige Überlegung, stattgefunden hat.
DOMRADIO.DE: Persönlichkeitsrecht und Datenschutz – welche Rolle spielen die denn bei der Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt, wenn die Perspektive der Betroffenen im Vordergrund stehen soll?
Hüsch: Der Schutz der Betroffenen steht im Vordergrund, ob nun aus datenschutzrechtlichen Gründen oder sonstigen Gründen. Das heißt, eine Veröffentlichung der Namen und der Daten des Opfers oder eine allzu genaue Beschreibung des Herganges, wodurch ein Schluss auf eine Person möglich wäre, sind sicherlich nicht nur datenschutzrechtlich untersagt. Auf der anderen Seite kann sich ein Täter und mutmaßlicher Täter nicht auf den Datenschutz berufen. Denn der Datenschutz dient zunächst dem Schutz des Opfers und nicht des Täters.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.