Es ist tief bewegend, als gegen Ende der Andacht noch einmal ein kleiner Chor aus der ukrainisch-katholischen Gemeinde des Erzbistums ein Kirchenlied aus der Heimat anstimmt. Darin geht es um die Bitte um Einheit, Freiheit und Frieden. Aber selbst wenn man nicht weiß, was die Sängerinnen und Sänger gerade in ihrer Landessprache vortragen, kommt in dieser schwermütigen Musik die ganze Trauer, der unverhohlene Schmerz über die furchtbaren Ereignisse im Osten Europas zum Ausdruck. Und eine große Sehnsucht, dass die blutigen Auseinandersetzungen, die so viel Leid über das ukrainische Volk bringen, bald ein Ende haben mögen, niemand um sein Leben oder das seiner Lieben fürchten muss. Wie eine Wehklage klingt diese Melodie, die ein ganz zentraler Bestandteil dieses Mittagsgebets im Kölner Dom ist.
Viele suchen Trost in Kölns Kathedrale
Verstohlen wischen sich manche Gottesdienstbesucher Tränen aus den Augen, die Minen sind ernst – wenn auch kaum sichtbar hinter den Masken. Aber auch so lässt sich erahnen, wie groß die Anteilnahme unter den Anwesenden ist. Die Ängste, die die Menschen mitbringen, sind zum Greifen nahe. Viele suchen in dieser Mittagsstunde Trost in Kölns Kathedrale, wo Dompropst Guido Assmann und Pfarrer Mykola Pavlyk als Vertreter der ukrainischen Katholiken gemeinsam gegen den Krieg in der Ukraine anbeten.
Plötzlich ist im lichtdurchfluteten Dom selbst für nicht unmittelbar persönlich Betroffene spürbar, wovon die verstörenden Nachrichten seit zwei Tagen nahezu pausenlos beherrscht werden. Viele sind gekommen, die Familie oder Verwandte in der Ukraine haben und nicht wissen, was als nächstes geschieht, wie viele Angriffe der Russen es noch geben wird und wie viele Menschen diese Invasion ihr Leben kosten wird. Manche haben sich die Nationalflagge um die Schultern gelegt, andere verharren knieend und in sich gekehrt in der Bank. Es sind berührende Szenen.
"Wir fühlen mit jedem Einzelnen in unserer Heimat"
"Krieg zuhause – das ist noch immer so surreal", finden Olexiy und Ulyana Khabyuk, die mit der ganzen Familie der Einladung zu diesem Friedensgebet gefolgt sind. "Wir fühlen mit jedem Einzelnen in unserer Heimat. Noch immer können wir nicht fassen, was da vor drei Tagen geschehen ist", so die gebürtigen Ukrainer, die vor vielen Jahren aus beruflichen Gründen nach Deutschland gekommen sind und deren älteste Tochter Sofya, noch in Jalta auf der Krim geboren, bei dieser Andacht den Dienst der Kantorin übernimmt.
Nun fürchten die Khabyuks um Familienangehörige, die in der Westukraine leben, aber auch um Verwandte in der Hauptstadt Kiew, die trotz Lebensgefahr die Stadt nicht verlassen wollen. "Ganz abgesehen davon, dass man im Moment nirgendwo im Land mehr sicher ist", berichtet die Mutter von vier Töchtern, der ihre Betroffenheit im Gesicht geschrieben steht und die verzweifelt um jedes Wort ringt. Mit 45 Jahren im wehrpflichtigen Alter werde ihr Bruder nun ohnehin nicht mehr aus dem Land gelassen, "auch wenn ich, als das noch möglich war, lange auf ihn eingeredet habe“, wie sie mit großer Sorge erzählt. "Viele Menschen bleiben eben aus Überzeugung dort. Sie wollen versuchen, so lange wie möglich Widerstand zu leisten, ihr Land zu schützen und die Freiheit zu verteidigen. Das ukrainische Volk wird bis zum Ende kämpfen, so ist nun mal seine Seele – und wenn ihm niemand hilft, werden die Menschen dort sterben", betont Ulyana Khabyuk mit brüchiger Stimme. Umso dankbarer sei sie, dass der Kölner Dom mit diesem Friedensgebet ein Zeichen der Solidarität setze und sich die Menschen hier im Herzen, aber vor allem auch im Gebet mit ihren Landsleuten verbinden würden. "Uns ist wichtig, dass wir von hier aus auf diese Weise unsere Schwestern und Brüder in der Ukraine unterstützen und uneingeschränkt seelischen Beistand leisten."
Auf die Macht des Gebetes vertraut auch Dompropst Assmann, wie er gleich zu Beginn der liturgischen Andacht unterstreicht. Gleichzeitig wolle er, so der Seelsorger, der Trauer, Verzweiflung und Mutlosigkeit einen Raum geben. Er spricht davon, dass sich die Menschen nach Frieden sehnten, weil Gott ein Gott des Friedens sei und dieser Gott wolle, dass seine Welt, die er erschaffen habe, den Menschen diene und es ihnen darin gut gehe. "Deshalb hat er uns die Fähigkeit gegeben, unseren Verstand und unsere Kraft einzusetzen, als soziale Menschen miteinander zu leben. Da gilt nicht mehr Zahn um Zahn, Auge um Auge", formuliert der Dompropst später in seiner Ansprache, "sondern da gilt es, die eigene Freiheit zu schätzen und zu schützen – im Wissen darum, dass das nur gelingt, wenn auch die Freiheit des Mitmenschen möglich ist. Denn wenn ich nur auf mich schaue, egoistisch bin, hat auch meine Freiheit wenig Chancen, sich zu entwickeln." Die Folge seien Verhärtungen.
Dompropst Assmann: "Krieg ist keine Lösung"
Außerdem geht er auf die Lesung ein, die zuvor Pfarrer Pavlyk vorgetragen hatte. Das Wort des Propheten Jesaja "Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen" bedeute letztlich nichts anderes als den Appell: "Setze Deine Kraft nicht in das Schwert und in den Krieg, sondern nimm die Kraft, die Du jetzt für den Krieg einsetzt, für den Frieden, um diese Erde zu bewirtschaften, zu bebauen, um Leben zu ermöglichen. "Krieg sei keine Lösung", mahnt Assmann mit Nachdruck. Das Bomben und Töten müsse aufhören und jede Kraft gegen Gewehre, Panzer und Kriegshandlungen eingesetzt werden.
Schließlich spricht er mit dem ökumenischen Friedensgebet noch einmal die dringendste aller Bitten aus: "… Wenn Menschen gegen Menschen ausgespielt werden, wenn Macht ausgenutzt wird, um andere auszubeuten, wenn Tatsachen verdreht werden, um andere zu täuschen, bist du es, der uns Hoffnung auf Frieden schenkt. Lehre uns gerecht und fürsorglich miteinander umzugehen und der Korruption zu widerstehen. Schenke uns mutige Frauen und Männer, die Wunden heilen, die Hass und Gewalt an Leib und Seele hinterlassen. Lass uns die richtigen Worte, Gesten und Mittel finden, um den Frieden zu fördern. In welcher Sprache wir dich auch als ‚Fürst des Friedens’ bekennen, lass unsere Stimmen laut vernehmbar sein gegen Gewalt und gegen Unrecht."