DOMRADIO.DE: Wie gefährlich sind im Moment Reisen nach Israel angesichts der aktuellen Sicherheitslage?

Matthias Vogt (Generalsekretär des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande): Reisen ins Kernland von Israel und nach Jerusalem sind aktuell nicht besonders gefährlich. Die Angriffe Israels auf den Gazastreifen haben zwar vor etwa zwei Wochen wieder eingesetzt, aber in Israel selber wirkt sich das kaum aus. Es gibt zwar bisweilen wieder Raketenalarm, allerdings kommen keine Raketen durch. Da geht es mehr darum, dass die Leute vor herabfallenden Trümmerteilen geschützt sind, wenn die Raketen abgeschossen werden. Das sind bisher nur vereinzelte Beschüsse auf Israel. Ins Kernland von Israel kann man unbesorgt reisen.
DOMRADIO.DE: Was macht den Palmsonntag in Jerusalem in Friedenszeiten aus? Wie begehen die Menschen diesen Tag?
Vogt: In normalen Zeiten kommen sehr viele Pilger rund um Ostern, beginnend mit dem Palmsonntagswochenende, ins Heilige Land. Es gibt die große Palmsonnntagsprozession am Nachmittag, die geht vom Ölberg mit Palmzweigen runter ins Tal, zieht dann durch die Via Dolorosa bis zur Grabeskirche, wo ein großer Abschlussgottesdienst für die einheimischen Christen und für die Pilger stattfindet. Die Prozessionen gibt es dieses Jahr auch, aber es rechnet kaum jemand damit, dass große Pilgerzahlen nach Jerusalem kommen werden. Das wird eine kleine Palmsonntags- und Osterfeierlichkeit sein, ähnlich wie im letzten Jahr und ähnlich wie schon in den Corona-Jahren.

DOMRADIO.DE: Der Heilig-Land-Verein kümmert sich um die Christen im Heiligen Land. Seit einigen Wochen hat Israel seinen Einsatz im besetzten Westjordanland ausgeweitet. Dort liegt Bethlehem und dort leben viele orthodoxe Christen. Wie schwierig ist es für Sie, als Heilig-Land-Verein, der israelischen und der palästinensischen Seite gerecht zu werden?
Vogt: Wir haben beim Deutschen Verein vom Heiligen Land in unseren Einrichtungen sowohl arabisch-palästinensische Mitarbeitende als auch israelische Mitarbeitende, wie auch jüdische Mitarbeitende im Pilgerhaus Tabgha. Wir müssen im eigenen Verein, in den eigenen Einrichtungen, dieser Situation gerecht werden - und ich muss sagen, das zerreißt einen manchmal.
Natürlich stehen die Palästinenser sehr solidarisch mit den Menschen im Gaza-Streifen. Aber die arabischen Israelis im Norden des Landes, in Galiläa, fürchten sich genauso vor den Hisbollah-Angriffen aus dem Libanon wie die jüdischen Israelis im Norden. Da gibt es keinen Unterschied. Trotzdem sind beide Sichtweisen im Verein sehr präsent. Es ist nicht immer leicht, das zusammenzuhalten.

Aber das ist die Chance, nicht nur des Vereins, sondern der Kirchen im Heiligen Land, dass Christen nicht nur auf einer Seite stehen, sondern auf beiden Seiten. Die Kirche muss es irgendwie schaffen, zu vermitteln. Die Kirche im Heiligen Land hat eine ganz besondere Rolle: als Laboratorium für den Frieden und für das Zusammenleben.
DOMRADIO.DE: Die Kollekte in den deutschen Gottesdiensten am Palmsonntag ist traditionell für die Christen im Heiligen Land reserviert. Das Motto lautet in diesem Jahr "Schritt für Schritt. Aufeinander zugehen". Wie können Dialog und Verständigung in so einer verfahrenen Lage gelingen?
Vogt: Im Moment ist es extrem schwierig, weil das Misstrauen, das zwischen Israelis und Palästinensern vor dem 7. Oktober 2023 herrschte, in blanken Hass umgeschlagen ist. Man spricht überhaupt nicht mehr miteinander, es gibt keine Gesprächsgrundlage. Wenn man in Israel oder Palästina das Wort Frieden in den Mund nimmt oder von Lösung des Konflikts spricht, wird man sofort von den Leuten gestoppt.
Es geht darum, dass wir erste Schritte machen, um wieder aufeinander zuzugehen, um überhaupt eine Gesprächsgrundlage zu schaffen. Es gibt leider nur wenig Gruppen und Menschen, die dafür arbeiten. Die Kirchen gehören zu diesen wenigen Akteuren. Sie brauchen jetzt besondere Unterstützung für ihre Aktivitäten, nicht nur die Finanzierung der laufenden Aktivität, sondern auch internationale Aufmerksamkeit. Vor Ort schlägt ihnen nicht nur Skepsis, sondern auch Ablehnung entgegen. Aber diese Gruppen und diese Menschen sind die, auf die wir als Heilig-Land-Verein setzen und die wir weiter unterstützen.
Das Interview führte Tobias Fricke.