"Kleiner Sturz" auf den Nachttisch, anhaltende Erkältungen, Hörgerät, Gehstock und Rollstuhl: Akribisch wird jede gesundheitliche Regung, jedes noch so kleine Schwächesymptom des 88-jährigen Franziskus beäugt und bewertet. Steht ein Konklave bevor? Braucht die katholische Kirche bald einen neuen Papst?
Dass der Pontifex unter Dauerbeobachtung steht, hat freilich nur bedingt mit seinem fortgeschrittenen Alter zu tun. Spätestens seit dem plötzlichen Tod des 33-Tage-Papstes Johannes Paul I. im September 1978 oder der überraschenden Rücktrittserklärung von Benedikt XVI. im Jahr 2013 weiß man: Tag X kann schneller kommen als erwartet. Und täglich rückt er näher, erst recht für einen Endachtziger. Aber wer kommt danach?
Konservative Initiative
Bei dieser Frage steht Konklave-Nerds und Kardinälen seit kurzem ein neues ausgefeiltes Instrument zur Verfügung: Die Website "College of Cardinals Report" ist eine Initiative der konservativen US-Verlagsgesellschaft Sophia Institute Press mit Sitz in Manchester, New Hampshire. Sie und die mit ihr verbundenen Autoren stehen dem Pontifikat des Papstes aus Argentinien äußerst kritisch gegenüber - nicht nur, wenn es um eine Öffnung der Kirche mit Blick auf sexuelle Minderheiten geht.
Ein Team katholischer Journalisten um den Briten Edward Pentin und die US-Amerikanerin Diane Montagna tragen auf der Plattform in enormer Fleißarbeit nicht nur Biografisch-Persönliches aller 253 Mitglieder des Kardinalskollegiums zusammen, sondern auch tiefergehende Informationen zu Haltung und Gesinnung von 41 Purpurträgern, die sie offenbar für besonders spannend halten.
Zehn kirchenpolitische Kriterien
Benutzer können Informationen nach verschiedenen Kategorien filtern sowie geografische und statistische Angaben über eine interaktive Karte entdecken. So erfährt man zum Beispiel auf einen Click, dass es 32 Kardinäle aus Lateinamerika gibt, von denen 18 unter 80 Jahre alt sind und damit zu den insgesamt 139 Männern zählen, die beim nächsten Konklave wahlberechtigt wären.
Montagna und Pentin, die vor allem für katholische Medien wie den "National Catholic Register", EWTN, "Catholic Herald" und "LIfeSiteNews" berichten, haben zehn Kriterien zusammengestellt, nach denen sie die Haltung der 41 näher vorgestellten Kardinäle tabellarisch aufschlüsseln: Frauendiakonat, Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, Zölibat, "Alte Messe", Geheimabkommen des Vatikans mit China, Synodale Kirche, Betonung des Themas Klimawandel, Neubewertung der Papst-Enzyklika Humanae Vitae samt dem "Pillenverbot", Kommunion für geschiedene und wiederverheiratete Katholiken sowie - erstaunlicherweise - das deutsche Reformprojekt "Synodaler Weg".
"Leichen im Keller" kein Thema
Auffälligerweise fehlt die Frage nach dem Umgang der genannten Kardinäle mit dem Thema Missbrauch in der Kirche. Dabei wäre es gut zu wissen, welche papsttaugliche Kardinal diesbezüglich eine "Leichen im Keller" haben könnte. Mit genau diesem Anliegen starteten konservative US-Katholiken vor einigen Jahren die Initiative zu einem sogenannten "Red-Hat-Report".
Anlässlich der Auseinandersetzung um den früheren US-Kardinal Theodore McCarrick wollte der Report Papstwähler und andere wichtige Figuren der katholischen Kirche über den Hintergrund wichtiger Kardinäle informieren. Dies durchaus verbunden mit der Schlagseite, einen aus ihrer Sicht links-liberalen Ausrutscher wie Bergoglio künftig auszuschließen.
Wer ist "papabile"
Die Macher des "College-of-Cardinals-Report" nennen nun auf Basis ihrer Kriterien und explizit mit Blick auf das "nächste Konklave" 22 - vornehmlich konservative - Kandidaten für die mögliche Nachfolge Jorge Mario Bergoglios, seit März 2013 Papst Franziskus. Der Brite Edward Pentin hatte das Thema schon in seinem 2020 erschienenem Buch "The Next Pope" behandelt. Viele der von Pentin und Montagna genannten Namen tauchen schon länger im kurialen Flurfunk auf und sind keine Überraschung.
Für "papabile" hält die Website einen Lateinamerikaner, zwei Nordamerikaner, drei Afrikaner, vier Asiaten und zwölf Europäer. Darunter sind italienische Kardinäle wie der Chefdiplomat des Papstes, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, der Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz Matteo Zuppi, dessen Vorvorgänger, Genuas emeritierter Erzbischof Angelo Bagnasco, sowie Pierbattista Pizzaballa, der als Patriarch von Jerusalem allerdings nicht in Europa wirkt.
Weltkirchliche Breite
Auch der Luxemburger Kardinal Jean-Claude Hollerich, der unter anderem bei der Weltsynode eine wichtige Rolle spielte, wird als möglicher Papstnachfolger genannt. Bei den zehn Kriterien erhält er mit die meisten "Haken" und gilt den Machern der Website daher als sehr reformfreudiger Kardinal.
Aus Afrika hat es der erzkonservative Robert Sarah auf die Liste geschafft; ebenso der Kongolese Fridolin Ambongo, Stimme jener Kardinäle, die sich gegen die in der Erklärung "Fiducia supplicans" vor einem Jahr gestatteten Segnungen queerer Paare aussprachen. Weiter halten die Autoren den Ungarn Peter Erdö, den Niederländer Willem Eijk, den Schweden Anders Arborelius, den Franzosen Jean Marc Aveline sowie den philippinischen Kurienkardinal Antonio Tagle und seinen portugiesischen Kollegen Josè Tolentino da Mendonça für geeignet, den Stuhl Petri zu erklimmen.
Und die Deutschen?
Und die sechs Kardinäle aus Deutschland? Fast verwundert es, dass es überhaupt einer unter die Top-22 geschafft hat, haben die Deutschen in den vergangenen Jahren im Vatikan doch stark an Bedeutung eingebüßt. Einzig dem früheren Präfekten der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller, wird die Nachfolge von Franziskus zugetraut. Dass die über 90-jährigen Kardinäle Friedrich Wetter, Walter Brandmüller und Walter Kasper außen vor bleiben, überrascht kaum, doch auch den Erzbischöfen von München-Freising und Köln, Reinhard Marx und Rainer Maria Woelki, räumt die Website keine Chancen ein.
Indes hat Müller, dessen Amtszeit als oberster Glaubenshüter Franziskus 2017 überraschend nicht verlängert hatte, seither an Strahlkraft verloren - trotz seiner exzellenten theologischen Expertise und seiner Berufung 2021 als Richter an die Apostolische Signatur, dem höchsten Kirchengericht. Akkurat werden Beschuldigungen der US-Plattform "The Pillar" aufgegriffen, Müller habe seinen Posten als Chef der Glaubensbehörde auch aufgrund finanzieller Unregelmäßigkeiten verloren - samt Müllers Zurückweisung der Vorwürfe.
Papst witzelt selbst darüber
Mit elf Kardinälen sind genau die Hälfte der Papabili des Portals Franziskus-Männer; zwei (Peter Erdö aus Ungarn und Marc Ouellet aus Kanada) wurden sogar noch von Johannes Paul II. kreiert, die Übrigen von Benedikt XVI. Wer Korrekturen oder neue Informationen für die Website hat, ist den Machern willkommen - volle Vertraulichkeit bis hin zur Anonymität garantiert.
Eine solch reichhaltige Sammlung an Daten und Fakten ist durchaus hilfreich in Zeiten, da Franziskus Kardinäle aus allen Ecken und Enden der Welt zu ernennen pflegt, die sich untereinander kaum kennen - auch weil es nur wenige Gelegenheiten zum Treffen gibt. Zugleich ist es geradezu eine Einladung zum fröhlichen "Papst-Toto". Auch Franziskus selbst witzelt gelegentlich über Verschwörungen in der Kurie um seine Nachfolge. Dazu betonen Montagna und Pentin, man wolle nicht pietätlos sein, sondern lediglich den Kardinälen die Chance geben, einander vor dem Tag X kennenzulernen
Bei aller Fleißarbeit sind die Macher nicht vor Fehlern gefeit: Noch zuletzt (Stand: 30. Dezember) war der indische Kardinal Oswald Gracias als "Papstwähler" gekennzeichnet. Dabei hatte er schon mit seinem 80. Geburtstag an Heiligabend diesen Kreis verlassen. Übrigens findet sich auch auf der Website des Heiligen Stuhls der Unterpunkt "Das Kardinalskollegium" - recht versteckt, aber sogar auf Deutsch. Biografien, Hintergrundtexte und Statistiken sind bei weitem nicht so detailliert oder gar interaktiv aufbereitet; Gracias fehlt allerdings korrekterweise unter den Papstwählern.