DOMRADIO.DE: Was genau ist Mica und wo steckt's drin?
Jörg Nowak (stellvertretender Pressesprecher von missio Aachen, arbeitet seit vielen Jahren in der Aktion Schutzengel mit): Mica ist ein wunderschönes Glitzermineral. Den meisten ist es unbekannt und doch ist es irgendwie in jeder Hand. Zum Beispiel verleiht es Karnevalsschminke und Lippenstiften einen wunderschönen Glanz.

Es wird aber auch wegen seiner Hitzebeständigkeit für Handys, für Bügeleisen, für Solaranlagen usw. verwendet. Da ist das überall drin und das ist den meisten nicht so bekannt.
DOMRADIO.DE: Von Mica haben wahrscheinlich wirklich viele noch nicht gehört. Sie haben sich an einen der Herkunftsorte begeben, auf die Insel Madagaskar vor der Ostküste Afrikas. Dort haben sie sich angeschaut, unter welchen Bedingungen Mica geschürft wird. Was haben Sie dort erfahren?
Nowak: Wir sind sozusagen die Lieferkette rückwärts gereist, von Deutschland über Paris und Antananarivo in Madagaskar weiter in den Süden bis zu den Minen. Da ist man erst mal drei Tage unterwegs, bis man vor Ort ist. Wenn man dort im Süden ankommt, stellt man zuerst fest, dass es auf diesen staubigen Schotterpisten überall glitzert. Dieses Funkeln, das sind schon Partikel von diesem Mineral Mica.
Am Ende der Reise bin ich nach Morarano gekommen, ein karger Ort, wo rund 300 Menschen leben und arbeiten. Die Landschaft ist quasi durchlöchert und die Menschen graben in diesen Löchern und holen dort Brocken von diesem Glitzermineral namens Mica raus. Das wird dann weiterverkauft und landet letztendlich über den Weltmarkt wieder in unseren Produkten.
DOMRADIO.DE: Und die, die in den Minen arbeiten, sind eben oft auch Frauen und Kinder ...
Nowak: Ja, das hat mich wirklich schockiert. Schon bei den Männern, die gesagt haben, dass sie in diesen Minen arbeiten wollen, aber bitte nicht zu diesem Hungerlohn. Die Männer schuften dort und schleppen diese schweren Säcke mit Mica. Das ist richtige Sklavenarbeit. Man muss sich vorstellen, für 100 Kilo, die man höchstens über mehrere Tage zusammenkriegt, bekommen sie zwei bis fünf Euro. Das ist ganz weit unter dem gesetzlichen Mindestlohn.

Dann habe ich Frauen gesehen, die mit ihren Babys auf dem Rücken, weil sie die Kinder nicht alleine lassen konnten, in diese Minen runtergekrochen sind. Das war so schrecklich, dieses Baby zu sehen, welches auf dem Rücken der Mutter gewickelt war. Und dann klettern die Mütter mit den Babys auf dem Rücken die scharfkantigen Schächte hinunter, barfuß an spitzen Steinen vorbei. Wenn die da nur irgendwie ausgerutscht wären und das Baby wäre mit dem Kopf gegen diese Wand gekommen ... ein absoluter Horror!
Ich habe mir nur gedacht, diese Mutter kriecht mit ihrem Baby dort runter, damit wir dieses Glitzermineral für unsere Karnevalsschminke oder den Lippenstiften haben.
DOMRADIO.DE: Sie von Missio sagen, dass das nichts anderes als moderne Sklaverei sei. Dieser Mica-Abbau ist ein Fall für Ihre langjährige Missio-Aktion "Schutzengel". Sie selbst sind mit schönen Engelsflügeln ins Studio gekommen, in Schutzengel-Kluft sozusagen. Können Sie uns kurz sagen, was es mit dieser Aktion auf sich hat?
Nowak: Seit 1999 gibt es die "Aktion Schutzengel", wo wir uns gegen moderne Sklaverei und für die Eine Welt einsetzen. Wir haben auf dem Flughafen Düsseldorf angefangen, wo wir gegen Sextourismus und Kinderprostitution protestiert haben. Jetzt haben wir uns Madagaskar und diesem Glitzermineral Mica verschrieben. Wir unterstützen Projekte vor Ort, um den Familien vor Ort zu helfen, um die alleinerziehenden Mütter da rauszuholen. Das ist der erste Ansatzpunkt von Missio.

Der zweite ist, dass wir in Deutschland darüber aufklären, wo Bestandteile unserer Kosmetik und den Autolacken herkommen. Wir gehen auf die Unternehmen zu, die diese Produkte anbieten, in denen Mica enthalten ist. Wir stellen Fragen und wollen wissen, was es damit auf sich hat und ob die Lieferkette bis zum Ende verfolgt wurde.
Wir haben - nachdem ich mit meiner Kollegin zurück aus Madagaskar gekommen bin - Testkäufe gemacht, weil wir mitbekommen haben, dass das Mica oft von chinesischen Händlern in Madagaskar aufgekauft wird. Wir dann ein paar Testkäufe bei Onlinehändlern und Billiganbietern im Internet gemacht, und haben nachgefragt woher das Mica kommt. Das hat Ewigkeiten gedauert. Letztendlich haben wir keine Antwort bekommen. Wir haben sogar in China angerufen. Da wurde uns nur den Hörer aufgelegt.
DOMRADIO.DE: Was ist Ihr Eindruck? Wie ist das Bewusstsein der Leute in Sachen Mica? Wissen die Menschen genug?
Nowak: Ich würde mal vermuten, wenn man jetzt hier in Köln auf der Domplatte oder sonst irgendwo die Menschen fragt, ob sie wissen, was Mica ist, werden die meisten sagen, dass sie davon noch nie gehört haben. Deswegen benutze ich inzwischen auch für die Mine den Begriff "Kosmetikmine", um deutlich zu machen, dass wir in einer Welt leben, wo es solche starken Zusammenhänge gibt. Ohne dieses Mica aus Madagaskar oder aus anderen Ländern wie Indien, würden viele Dinge nicht so wunderschön glitzern und glänzen. Das ist ja auch gut, aber die Ausbeutung darf damit nicht verbunden sein.
Ich war in dieser Woche in einem Geschäft für Karnevalskostüme und habe dort die neuen Engelsflügel für unsere Aktion gekauft. Dort habe ich auch geschaut, ob es Karnevalsschminke mit Mica gibt. Und Ja es gibt sie dort in verschiedenen Varianten. Teilweise steht explizit "Mica" als Zutat darauf oder der entsprechende Code für kosmetische Inhaltsstoffe, CI 77019. Meist steht aber drauf, dass Mica drin ist. Ich habe die Verkäuferin ein wenig naiv gefragt, ob die Schminke mit Kinderarbeit verbunden sei und ob sie dazu etwas sagen könne? Nein, das konnte sie nicht.

Da habe ich mich dann an den Geschäftsführer gewandt. Mit dem habe ich mich ausführlich unterhalten. Der wusste davon auch nichts, konnte dazu nicht sagen. Er sah sich auch überhaupt nicht in der Haftung oder Pflicht. Ich hätte mir wenigstens gewünscht, dass er sich für den Hinweis bedankt und vielleicht mal nachhakt. Also da muss noch eine Menge passieren, damit das Thema ins Bewusstsein kommt. Dabei ist das genauso wichtig wie faire Bananen, fairer Tee, fairer Kaffee und so weiter.
DOMRADIO.DE: Was tun Sie vom katholischen Hilfswerk Missio, um aufzuklären und auch etwas zu ändern?
Nowak: Der erste Schritt war jetzt, dass wir erst mal die Frauen und Kinder dort rausholen wollen. Das haben wir mit Spenden aus Deutschland geschafft. 35 alleinerziehende Frauen sind jetzt mit ihren Kindern aus der Mine raus. Ein Priester, mit dem Missio zusammenarbeitet und der gleichzeitig auch so eine Art Ökobauer ist, bringt Ihnen alternative Möglichkeiten zum Geld verdienen bei. Da ist eine kleine Ferkel- und Kälbchenzucht entstanden und Erdnüsse werden angepflanzt. Diese Frauen mit ihren kleinen Familien haben jetzt ein besseres Einkommen und werden dort nicht mehr ausgebeutet.
Das ist ein erster wichtiger Ansatz und wir werden dieses Projekt weiter ausbauen. Das nächste ist, dass wir in Deutschland auf einen Karnevalsverein zugehen und Informationsveranstaltungen machen, um für dieses Thema zu sensibilisieren. Wir werden außerdem Unternehmen aus Deutschland und Europa anschreiben und mit denen ins Gespräch kommen.
Unsere Vision ist es eine zertifizierte Mine in die Wege zu leiten. Dafür brauchen wir die Politik uns die Wirtschaft. Letztendlich geht es darum, dass wir Mica mit einem guten Gewissen in der Karnevalsschminke, dem Nagellack oder sonstigen Produkten kaufen können, so dass jeder weiß, dass damit keine Ausbeutung oder Kinderarbeit verbunden ist. Das ist es, was wir wollen.
Das Interview führte Hilde Regeniter.