Kirche in der West-Ukraine bittet um Unterstützung

"Wir können das nur gemeinsam tun"

Mitten im Ukraine-Krieg nimmt auch die dortige Kirche ihre soziale Verantwortung ernst und steht fest an der Seite der Bevölkerung. Über die Lage in der Stadt Iwano-Frankiwsk im Westen des Landes berichtet Markian Bukatchuk.

Rauch steigt hinter Wohngebäuden in Iwano-Frankiwsk in der Westukraine auf / © ukrin (dpa)
Rauch steigt hinter Wohngebäuden in Iwano-Frankiwsk in der Westukraine auf / © ukrin ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie ist die lage bei Ihnen, ist es in Ihrer Stadt noch ruhig, oder sind sie von Kampfhandlungen betroffen?

Rev. Markian Bukatchuk (Direktor des St. Basilius Gymnasiums in Iwano-Frankiwsk): Seit fast einem Monat befindet sich unser Land im Krieg gegen einen Aggressor. Russland hat die Ukraine mit einer sogenannten "speziellen Militäroperation" angegriffen. Eigentlich verstehen wir, dass es hier um einen totalen Krieg gegen ein friedliches Land, das in Demokratie leben will, geht.

Bewaffnete Soldaten patrouillieren in der westukrainischen Stadt Iwano-Frankiwsk / © ukrinform (dpa)
Bewaffnete Soldaten patrouillieren in der westukrainischen Stadt Iwano-Frankiwsk / © ukrinform ( dpa )

Seit dem Kriegsbeginn wurde der Flughafen in unserer Stadt Iwano-Frankiwsk, der sich im Westen der Ukraine befindet und 120 km südlich von Lwiw (Lemberg) entfernt ist mit russischen Raketen mehrmals bombardiert. Die gleichen Luftangriffe auf strategische und zivile Objekte finden bis heute in vielen anderen Städten statt und manche Städte wie Charkiw - und vor allem denke ich hier an Mariupol - werden dem Boden gleichgemacht.

Es werden Zivilisten und Kinder getötet. Es gibt eine große Zahl an Menschen, die vor diesem schrecklichen Krieg auch flüchten und selbstverständlich Versorgung brauchen und nach Unterkunft suchen. Das hat zur Folge, dass in der Ukraine eine humanitäre Norden entsteht.

DOMRADIO.DE: Ihre Stadt hat ja schon 150.000 Binnenflüchtlinge aufgenommen. Wie sieht denn die Hilfe im Bistum aus?

Bukatchuk: Wir als Kirche sind unserer sozialen Verantwortung bewusst. Wie viele andere sind wir heute sehr empfindlich für die Not der bedürftigen Menschen vor Ort und möchten ihnen helfen, möchten diese Menschen nicht im Stich lassen, sondern ihnen nach unseren Möglichkeiten helfen.

So haben wir all unsere Kräfte mobilisiert und es wurde in unserem Erzbistum ein Krisenstab einberufen. Wir haben all unsere Verwaltungsgebäude, Priesterseminar, Jugendzentrum, Gymnasium, Bistumszentrum, Pfarrhäuser und so weiter für die Flüchtlinge geöffnet.

Dort sind momentan 500 Plätze für Binnenflüchtlinge eingerichtet und insgesamt sind es 1500 Kriegsvertriebene, die bei uns seit dem Kriegsbeginn Zuflucht fanden. Manche bleiben für einige Tage, die anderen gehen weiter ins Ausland. Jemand bekommt eine soziale Wohnung vor Ort.

Außerdem muss man sagen, dass wir neben der Unterkunft, täglichen Verpflegung von Binnenflüchtlingen auch eine kostenlose medizinische Untersuchung in unserer St. Lukas-Ambulanz in Iwano-Frankiwsk anbieten. Momentan sind es über 450 Dienstleistungen, die wir für Binnenflüchtlinge erbracht haben und außerdem versorgen wir sie auch mit Medikamenten, mit Hygieneartikel.

DOMRADIO.DE: Man redet in solchen Situationen oft über Sachspenden und Notunterkünfte, Hilfsangebote. Aber was macht das mit der Psyche der Flüchtlinge und auch der Helfer? Sie wissen ja nicht, ob sie nicht auch noch Ihre Heimat verlassen müssen. Verdrängt man das oder schwebt das immer über Ihnen?

Rev. Markian Bukatchuk

"Wir nehmen die Nische, die der Staat auch nicht übernehmen kann und deswegen möchten wir auch solchen Menschen helfen."

Bukatchuk: Man muss verstehen, es sind Leute, die Schreckliches erlebt haben und das kann nicht die Gesundheit verschonen. Deswegen kommen dann sehr viele akute und chronische Krankheiten wieder ans Licht und solchen Menschen muss geholfen werden. Wir nehmen die Nische, die der Staat auch nicht übernehmen kann und deswegen möchten wir auch solchen Menschen helfen.

Außerdem versorgen wir die Binnenflüchtlinge auch mit Lebensmittelpaketen. Wir bereiten Lebensmitteltransporte in die Ost- und Nord-Ukraine mit Tonnen an Hilfsgütern, die dort dringend gebraucht werden und über grüne Korridore, humanitäre Korridore nach Charkiw und anderen Städten im Donbass geliefert werden.

Insgesamt handelt es sich um eine humanitäre Hilfe im Ausmaß von über 130 Tonnen, die wir seit dem Kriegsbeginn mit LKW, mit Zügen aus Iwano-Frankiwsk versendet haben.

DOMRADIO.DE: In der Ukraine gibt es keine Kirchensteuer. Wie finanzieren Sie ihre Aktivitäten?

Ukrainische Rettungskräfte und Freiwillige tragen in Mariupol eine verletzte schwangere Frau aus einer Entbindungsklinik / © Evgeniy Maloletka (dpa)
Ukrainische Rettungskräfte und Freiwillige tragen in Mariupol eine verletzte schwangere Frau aus einer Entbindungsklinik / © Evgeniy Maloletka ( dpa )

Bukatchuk: Weil es in der Ukraine keine Kirchensteuer gibt, wird auch die ukrainische griechisch-katholische Kirche nur mit Spenden finanziert. Deswegen sehen wir in unserer sozialen Tätigkeit eine große Chance, aber auch eine große Herausforderung, denn wir können solche Projekte aus eigener Tasche auf Dauer nicht finanzieren.

Aber den Menschen muss geholfen werden und deswegen freuen wir uns sehr, wenn es Wohltäter, wenn es Partner, wenn es Menschen guten Willens gibt, die unser Wirken, unser soziales Engagement auch unterstützen können. Denn jeder Cent, jeder Euro wird sehr dringend gebraucht.

Hintergrund: Selenskyj ruft zu Widerstand und Durchhalten auf 

Angesichts der zunehmenden Gewalt gegen Zivilisten in der Ukraine hat Präsident Selenskyj seine Landsleute zum Widerstand gegen Russlands Truppen und zum Durchhalten aufgerufen. In einer am Montagabend verbreiteten Videobotschaft appellierte er an die Ukrainer, alles zu tun, um den Staat zu schützen. «Um unser Volk zu retten. Kämpft. Kämpft und helft!» Der in Kiew ausharrende Staatschef rief dazu auf, die «Eindringlinge» zu vertreiben. «Damit die Ukraine lebt, und wir alle gemeinsam mit ihr, frei und in Frieden.»

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine / © Sergey Starostenko (dpa)
Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine / © Sergey Starostenko ( dpa )

Was unser Tagesablauf angeht, müssen Sie verstehen, dass wir hier den Frontlinien, den umkämpften Gebieten eine Rückendeckung auch sichern müssen. Es gibt bei uns keine Verzagtheit. Es gibt in der Gegend eine sehr große Solidarität, denn die Menschen stehen hier im Mittelpunkt.

Es sind dunkle Zeiten für uns. Es gibt Luftalarme, es gibt Menschen, die Angst haben. Aber man versucht sich jetzt auch an solch ein Leben zu gewöhnen und man spürt eine große Einigung und Unterstützung in unserem Volk. Jeder tut alles Mögliche auf seinen eigenen Frontlinien.

Die Soldaten kämpfen tapfer. Die Staatsregierung leistet enorme diplomatische und soziale administrative Bemühungen. Die Unternehmer führen weiterhin ihre Tätigkeit, um die Wirtschaft zu stabilisieren, damit der Staat auch mit Steuern versorgt wird, damit der Staat auch seine Aufgaben optimal und konsequent durchführen und realisieren kann.

Es gibt Tausende von ukrainischen Männern, die aus dem Ausland in die Heimat zurückkehren, um das eigene Land zu verteidigen. Das ist eine logische Sache für uns. Die Frauen und Kinder, die Älteren, denen helfen wir, denen bieten wir Unterkunft. Die bekommen auch eine große Hilfe im Ausland.

DOMRADIO.DE: Was brauchen Sie derzeit?

Rev. Markian Bukatchuk

"Man sagt ja immer, dass das erste Opfer des Krieges die Wahrheit ist. Und wir kämpfen für diese Wahrheit."

Bukatchuk: Für die Aufnahmen in ganz Europa sind wir auch sehr dankbar. Aber diejenigen, die das Land verteidigen können, die werden jetzt hier vor Ort dringend gebraucht. Alles in allem spricht man von einem biblischen Kampf zwischen David und Goliath.

Wir als Kirche verstehen eines, das die Wahrheit auf unserer Seite steht. Man sagt ja immer, dass das erste Opfer des Krieges die Wahrheit ist. Und wir kämpfen für diese Wahrheit. Wir möchten, dass unser Land, dass unsere Kinder, dass unsere Menschen, die hier in Frieden leben wollen, dass sie auch diese Zeiten überstehen und dass wir auch gewinnen.

Aber wir können das nur gemeinsam tun. Damit es uns auch gelingt, brauchen wir auch Ihre Hilfe. Sollten Sie also bereit sein und die Möglichkeit haben, uns zu unterstützen, würden wir uns sehr freuen. Danke und Gott segne Sie!

Das Interview führte Heike Sicconi.

Quelle:
DR
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