DOMRADIO.DE: Am Samstag gibt es auf Sizilien eine Vorverhandlung gegen die Hilfsorganisation "Jugend rettet", weil sie 2017 vor der libyschen Küste Menschen in Seenot an Bord genommen hat. Das breche geltendes Recht, lautet der Vorwurf. Die Kirche unterstützt Seenotrettung auf dem Mittelmeer. Warum beteiligt sich die Kirche an einem möglichen Rechtsbruch?
Msgr. Rainer Boeck (Beauftragter des Erzbistums München und Freising für Flucht, Asyl und Integration und Mitglied des Arbeitsstabs der Deutschen Bischofskonferenz für Flüchtlingsfragen): Die Kirche ist dezidiert der Meinung, dass das kein Rechtsbruch ist, sondern es ist vielfach im internationalen Recht festgeschrieben, dass jeder Mensch, der aus welchem Grund auch immer in Seenot gerät, Anspruch auf schnelle Rettung hat.
Dieses Recht entspricht genau der Position der Kirche, die sagt: Jeder Mensch, dessen Leben aus welchen Gründen auch immer bedroht ist, hat Anspruch darauf, Hilfe zu erfahren, aus seiner Notsituation gerettet zu werden. Deswegen begrüßt die Kirche auch, dass die Prozesse bisher ins Leere gelaufen sind, die Seenotretter anzeigen oder gar ins Gefängnis bringen wollten. Ich hoffe, dass auch der laufende Prozess dieses positive Ergebnis in unserem Sinne hat und dass die Anklage niedergeschlagen wird.
DOMRADIO.DE: Die Organisation "Jugend rettet" hat dazu bei uns im Interview gesagt, es dürfe nicht sein, dass die Rettung von Menschenleben kriminalisiert werde. Da gehen Sie vermutlich mit?
Boeck: Da gehe ich voll mit und da geht die Kirche mit. Alle Maßnahmen, die diese Rettung verhindern wollen, auch durch europäische Organisationen wie Frontex und die von Europa unterstützte libysche Küstenwache, all diese Organisationen halten sich in kirchlicher Meinung nicht an geltendes Recht. Eigentlich müssten diese Organisationen, die die Rettung verhindern, vor Gericht gestellt werden.
DOMRADIO.DE: Sie sind im Arbeitsstab der Bischofskonferenz unter Erzbischof Heße beteiligt. In welche Richtung wird das Thema innerhalb dieser Runde behandelt?
Boeck: Die Rettungsorganisationen, die nicht unmittelbar mit der Kirche zu tun haben, wenden sich immer wieder an die Kirche. Zu Recht, weil sie dort ihre Unterstützer sehen. Wir prüfen in der Bischofskonferenz genau, welche Organisationen sich im rechtlichen Rahmen bewegen.
Einzelne Bistümer, auch unser Erzbistum, haben die Organisationen nach dieser Prüfung immer wieder mit erheblichen Mitteln unterstützt. Nicht nur finanzieller Art, sondern wir haben im Münchner Dom vor gut zwei Jahren einen ganz großen Gottesdienst für Seenotretter gemacht. Diesen Gottesdienst hat Kardinal Marx zusammen mit dem evangelischen Landesbischof geleitet. Und dieser Gottesdienst war besucht wie bei uns höchstens noch die Christmette.
Das heißt, es gibt auch aus der Bevölkerung heraus eine ganz große Solidarisierung und viel Verständnis für das Anliegen der Seenotrettung.
DOMRADIO.DE: Der Krieg in der Ukraine hat jetzt dafür gesorgt, dass die Probleme der anderen Flüchtlinge weniger in den Nachrichten auftauchen. Gerät das Mittelmeer aus Ihrer Sicht zu sehr in den Hintergrund?
Boeck: Das ist nicht nur das Mittelmeer, sondern alle anderen Orte, wo Menschen zur Flucht gezwungen werden. Sehr, sehr viele auf der Welt geraten in den Hintergrund. Die Kirche bemüht sich deswegen, gerade diese Orte und zuvorderst natürlich auch das Mittelmeer in den Blickpunkt zu rücken und auch diese Menschen nicht zu vergessen. Man muss ja sagen: Gott sei Dank haben die Ukraineflüchtlinge bei uns ohnehin einen besonderen, einen positiven Status durch die Zufluchtrichtlinie.
Gerade deswegen darf es aber nicht dazu kommen, dass andere Flüchtlinge in den Hintergrund geraten, dass man nicht mehr auf sie zugeht oder dass sie als zweitklassig behandelt werden. Für die Kirche ist jeder Mensch, ob ukrainischer Christ, ob ein Flüchtling aus Nigeria, der Muslim ist, gleich Mensch, gleich Bild Gottes und hat deswegen auch die gleichen Ansprüche.
Deswegen ist es sehr, sehr wichtig und wir tun alles, dass der Scheinwerfer jetzt nicht nur auf die sehr schwierige Situation der Ukraine gerichtet ist, sondern auch auf die vielen anderen Hotspots und auf das Mittelmeer gerichtet bleibt.
Das Interview führte Dagmar Peters.