Vatikan-Kenner analysiert Einsetzung von Nuntius Gänswein

"Ein Amt als Sprungbrett oder Schleudersitz"

Seit gut einer Woche ist der ehemalige Papstsekretär Erzbischof Gänswein offiziell als Nuntius für Estland, Lettland und Litauen im Amt. Ulrich Nersinger erläutert die Bedeutung und Geschichte des Amts der päpstlichen Diplomaten.

Autor/in:
Carsten Döpp
Nuntius Georg Gänswein (l.) mit Litauens Präsident Gitanas Nauseda / © Robertas Dačkus (Büro des Präsidenten der Republik Litauen)

DOMRADIO.DE: Wie wird man Nuntius? Welche Voraussetzungen muss man erfüllen? 

Vatikanexperte Ulrich Nersinger (EWTN)
Vatikanexperte Ulrich Nersinger / ( EWTN )

Ulrich Nersinger (Vatikan-Experte und Journalist): In der Regel besucht man in Rom die päpstliche Diplomatenakademie. Das ist eine Einrichtung, die sich in der Nähe des römischen Pantheons befindet. Man absolviert dort ein Studium und erhält die Gelegenheit, während dieser Zeit auch ein Doktorat in Kirchengeschichte oder Kirchenrecht zu erwerben. Das soll ebenfalls auf die diplomatische Arbeit vorbereiten.

DOMRADIO.DE: Wie viel Zeit muss man da investieren? 

Nersinger: Gar nicht so wenig. Man muss eine Bereitschaft mitbringen, Sprachen zu lernen und überhaupt sprachlich begabt sein. Denn es ist ja jederzeit möglich, dass ein Nuntius in ein anderes Land versetzt wird.

DOMRADIO.DE: Die Aufgaben des Nuntius drehen sich ja um Repräsentatives und Verwaltung. Aber welche spektakulären Einsätze hat es in der Vergangenheit schon gegeben? 

Nersinger: Ja, ich würde zunächst einmal widersprechen. Ein Nuntius hat doch auch viel mit Seelsorge zu tun, denn er vertritt ja den Papst gegenüber der Ortskirche. Vor Ort ist er dann durchaus in den kirchlichen Alltag involviert. Er hält Gottesdienste und Konferenzen.

Weil diese Aufgaben in allen möglichen Ländern anfallen, kommen die päpstlichen Nuntien auch mit allen möglichen politischen Systemen in Kontakt. Im Rahmen von politischen Konflikten kann es dann auch zu Situationen kommen, die für den Nuntius unter Umständen lebensbedrohlich sind. 

DOMRADIO.DE: Haben Sie Beispiele? 

Nersinger: Zwei Beispiele aus dem vergangenen Jahrhundert kommen mir in den Sinn. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Nuntius Pacelli, der spätere Papst Pius XII., zuerst für Bayern, dann für das Deutsche Reich zuständig.

Ulrich Nersinger

"Man hielt dem Nuntius eine Pistole ins Gesicht."

Als im Jahr 1919 die Spartakisten in München die Macht übernahmen und die Räterepublik einrichteten, verblieb Nuntius Pacelli als letzter Diplomat in der Stadt. Die Aufständischen drangen schließlich in die Gebäude der Nuntiatur ein und hielten dem Nuntius eine Pistole ins Gesicht.

Nuntius Pacelli, später Papst Pius XII., in einem italienischen Kriegsgefangenenlager / © N.N. (KNA)
Nuntius Pacelli, später Papst Pius XII., in einem italienischen Kriegsgefangenenlager / © N.N. ( KNA )

Ein weiteres Beispiel war der Irak-Krieg. Auch damals war der päpstliche Nuntius einer der wenigen Diplomaten, die vor Ort ausharrten. Das wurde später von den Irakern auch explizit gewürdigt. "Der Nuntius ist unser Freund", hieß es dann. Das war für Christen und Muslime wichtig.

DOMRADIO.DE: Soweit ich weiß, wollten die USA lange Zeit keinen päpstlichen Nuntius. Warum? 

Nersinger: Das hat einen ganz einfachen Grund: Die USA waren von ihrer politischen Struktur her und ideologisch eher freidenkerisch, teilweise freimaurerisch geprägt. Wenn sie eine religiöse Prägung hatten, dann waren die Staatsmänner Mitglieder der protestantischen Kirche. Im amerikanischen Verständnis war und ist der Staat der Souverän für die Bürger. 

Dass mit der Katholischen Kirche noch eine andere Institution den Anspruch hatte, Souverän über einen großen Teil der Bevölkerung zu sein, führte zwangsläufig zu Konflikten mit dem Vatikan. 

Ulrich Nersinger

"Man wollte keinen offiziellen Vertreter des Papstes in den USA."

Man wollte daher keinen offiziellen Vertreter des Papstes in den USA. Das führte bis ins Jahr 1870 zu heftigen diplomatischen Konflikten zwischen dem Vatikan und den USA.

Einen Nuntius gab es daher nicht. Man hat die Beziehungen stattdessen auf anderer Ebene gepflegt. Daher gab es stattdessen päpstliche Konsuln in Amerika, die die weltliche Seite des päpstlichen Staates vertraten. Faktisch haben sie die Aufgaben von Nuntien übernommen. Sie haben sich zum Beispiel nach Kandidaten für das Bischofsamt erkundigt.

DOMRADIO.DE: Eine Nuntiatur kann ja später auch zu noch höheren kirchlichen Ämtern führen. Quasi ein Sprungbrett für die Karriere?

Nersinger:  Das Amt des Nuntius ist nicht nur ein Sprungbrett, sondern auch Schleudersitz. Es ist eine Aufgabe, die für ein späteres Amt in der Kirche sehr wichtig sein kann. 

Der spätere Papst Pius XI. etwa wurde nach dem ersten Weltkrieg Nuntius in Polen. Das war eine sehr heikle Zeit, wo viele Gebiete des Deutschen Reiches zu Abstimmungsgebieten wurden, d.h. deren Bewohner sich für Deutschland oder Polen entscheiden mussten.

Der Nuntius versuchte nach Kräften, auszusöhnen. Es wurde ihm aber nicht gedankt. Die Polen lehnten ihn und seine Bemühungen ab. Um ein Haar wäre der Nuntius offiziell ausgewiesen worden, nur eine Stimme fehlte dazu im polnischen Parlament.  Schließlich verließ er seinen Posten dann in Rücksprache mit Rom freiwillig. 

Papst Pius XI. / © N.N. (KNA)
Papst Pius XI. / © N.N. ( KNA )

Als er aus Polen abreiste, schrieben die Zeitungen dann, dass dieser Mann kein Ruhmesblatt für die Kirche sei. Garantiert würde er nie positiv in der Kirchengeschichte erwähnt werden, so der mediale Tenor damals. Aber der Mann wurde dann wenige Monate später zu Papst Pius XI.

Dazu gibt es eine hübsche Anekdote. Man hatte ihn bei seiner Abreise aus Polen ja politisch völlig kaltgestellt. Er bekam keinen Orden und nichts. Vor dem Konklave merkte man dann auch auf polnischer Seite, dass der Mann Chancen hat, Papst zu werden. 

Ulrich Nersinger

"Der polnische Botschafter verlieh dem künftigen Papst den höchsten polnischen Orden. Ein Treppenwitz der Geschichte."

Als die Kardinäle in Prozessionen ins Konklave einzogen, wurde ihm auf einmal der Weg versperrt. Die päpstlichen Nobelgarden und die Schweizergarde waren schon kampfbereit.

Doch es stellte sich raus, dass das der polnische Botschafter war. Er verlieh in diesem Moment dem künftigen Papst den höchsten polnischen Orden. Ein Treppenwitz der Geschichte. 

DOMRADIO.DE: Georg Gänswein wurde nun als Nuntius für das Baltikum vereidigt. Ein Quereinsteiger quasi. Wie ungewöhnlich ist das?

Nersinger:  Durchaus ungewöhnlich. Und zwar aus zwei Gründen: Zunächst einmal wissen wir ja alle um die gelinde gesagt heftigen Dissonanzen im Verhältnis von Erzbischof Gänswein zum jetzigen Heiligen Vater. 

Das ist ja kein Geheimnis. Eine Ernennung zum Nuntius ist insofern sonderbar, weil er ja das Auge, das Ohr und der Mund des Papstes ist. Er muss in vollständiger Loyalität zum Papst stehen. 

Ulrich Nersinger

"Gänswein ist kein Diplomat par excellence, sondern er ist ein Seiteneinsteiger."

Das Zweite ist, dass Gänswein kein Diplomat par excellence ist, sondern er ist ein Seiteneinsteiger. Er hat keine diplomatische Ausbildung durchlaufen, und das ist ungewöhnlich, obwohl man zugestehen muss, dass er natürlich als Präfekt des Päpstlichen Hauses doch mit relativ vielen Leuten auf der politischen Ebene, aber auch auf der kirchlichen Ebene in aller Welt zusammengekommen ist. 

Erzbischof Georg Gänswein / © Paolo Galosi/Romano Siciliani (KNA)
Erzbischof Georg Gänswein / © Paolo Galosi/Romano Siciliani ( KNA )

Wenn Sie mich fragen, wie man das Ganze beurteilen soll und was man davon zu erwarten hat, dann möchte ich auf ein berühmtes römisches Wort verweisen. Die Römer sagen in solchen Situationen: "Vedremo - Wir werden sehen". 

Das Interview führte Carsten Döpp.

Apostolischer Nuntius

Der Apostolische Nuntius ist in Doppelfunktion Gesandter des Papstes bei einer Ortskirche und zugleich bei einem Staat oder einer öffentlichen Autorität. Als Mittelsmann des Papstes soll er in erster Linie die Verbindung zwischen dem Apostolischen oder Heiligen Stuhl und der Kirche seines Gastlandes halten und stärken. Zudem soll er nach den Normen des internationalen Rechts das Verhältnis zwischen dem Vatikan und den Staatsautoritäten pflegen, Staat-Kirche-Fragen behandeln und etwa durch Konkordate oder andere Vereinbarungen regeln.

Ein Pileolus und eine Stola liegen auf einer Kirchenbank / © Harald Oppitz (KNA)
Ein Pileolus und eine Stola liegen auf einer Kirchenbank / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR